Grenzenlose Verlegenheit



Fotos: Matthias Sengewald

Zur Feuilletonglosse von Regina Mönch „Auch das noch! — Einheitsbrei: Gerichtsentscheid in Leipzigs Denkmalstreit“ (F.A.Z. vom 26. Februar).

„ln jüngster Zeit hagelt es in Deutschland Nationaldenkmäler“, alarmierte Ariane Greiner vor einiger Zeit die Öffentlichkeit. Denkmäler für manches und vieles sind allüberall bereits entstanden oder befinden sich noch in Arbeit. Der Drang von Parlamenten und unterschiedlichsten Interessengruppen zum Denkmal scheint kaum noch steuerbar zu sein. Die Finanzierung ist niemals ein wirklicher Hinderungsgrund, denn wer will sich schon dem Wahren, Guten und Schonen im Sinne Platons, das dann noch dazu als das unbedingt Notwendige definiert wird, verweigern. Wo ein Wille ist, findet sich immer auch ein Weg.

Jahrhundertealte Denkmalstraditionen werden heute weithin als nicht mehr gangbar erkannt, wurden sie doch durch ihren Missbrauch im Jahrhundert der Diktaturen zumindest vorerst in Deutschland unbrauchbar gemacht. Deshalb sollen neue Denkmaler her, die sich entschlossen diesen Traditionen verweigern und neue Formen, Materialien, Techniken und neue partizipative Möglichkeiten bei Entstehung und Nutzung verwirklichen. Die Ergebnisse des neuen Denkmalbooms sind nun aber keineswegs immer überzeugend. Sehr vieles gleitet da ab ins Unverständliche, Banale, Alberne, Un-spezifische, Erklärungsbedürftige und bezeugt eigentlich nur die grenzenlose Verlegenheit gegenüber der gestellten Aufgabe. Die gewählten Materialien mögen innovativ sein, zeigen aber oft schon bald, dass es ihnen voraussehbar an jener Eigenschaft fehlt, die eigentlich jedes Denkmal besitzen sollte, nämlich Dauerhaftigkeit. Die Kombination mit neuen Techniken, beispielsweise Licht- oder Videoinstallationen, steigert die Anfälligkeit der neuen Denkmaler dann bis hin zum Dauerpflegefall beziehungsweise zur nur noch peinlichen Verwahrlosung. Die in Leipzig und Berlin geplanten „Denkmaler“ lassen da Schlimmes befürchten!

Von der breiteren Öffentlichkeit bisher fast unbemerkt, erhebt sich aber seit 2013 in der Gedenk- und Bildungsstatte Andreasstraße nahe dem Erfurter Domplatz der Kubus der Friedlichen Revolution, einer jener von Dieter Bartetzko so heftig attackierten Kuben also, auf dessen Außenflächen Simon Schwartz, geboren 1982 in Erfurt, die Geschichte der Friedlichen Revolution in Thüringen im Stil der Graphic Novel erzählt. Der Erfurter Kubus ist ein singuläres Denkmal. Sein Material, große, in einem speziellen Druckverfahren verarbeitete Glastafeln, versprechen angemessene Dauerhaftigkeit. Die Losung „Keine Gewalt!“, die zentrale Losung der Friedlichen Revolution, leuchtet zum Domplatz herüber. Im Wechsel des Tageslichtes wechseln auch die Farbwerte der gläsernen Fassade, in der sich übrigens nicht nur die historischen Gebäude der MfS-Haftanstalt spiegeln, sondern auch die Besucher selber, wenn sie nur nahe genug herantreten, um zu erleben, wie sie selber zum Teil dieser großartigen Inszenierung werden.

Der Erfurter Kubus der Friedlichen Revolution ist Teil jenes doppelten Gedenkens, das jede Erinnerung an die SED-Diktatur und ihre Überwindung erforderlich macht. Mit der vielfigurigen Darstellung zahlreicher Orte und Situationen der Friedlichen Revolution erfüllt die Fassade des Erfurter Kubus auch die museumsdidaktische Aufgabe einer biblia pauperum. Ihre Bilder müssen Stück für Stück gelesen, interpretiert, diskutiert und in die eigene Erinnerung eingeordnet werden.

PROFESSOR DR. PETER MASER, NAUMBURG