Stellungnahme der Gesellschaft für Zeitgeschichte zum Bericht der Expertenkommission zur Zukunft der BStU

Am 12. April 2016 wurde der Bericht der Expertenkommission zur Zukunft der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) veröffentlicht.

Insbesondere enthält er folgende Veränderungsvorschläge:

1. „Die Stasi-Unterlagen werden unter den im Folgenden genannten Bedingungen bis zum Ende der nächsten Wahlperiode in das Bundesarchiv integriert:

  • Das Stasi-Unterlagen-Archiv soll vollständig mit eigenem Namen und mit sichtbarer Eigenständigkeit unter dem Dach des Bundesarchivs weitergeführt werden.
  • Die Akten verbleiben grundsätzlich in der Normannenstraße in Berlin-Lichtenberg bzw. in den Ländern.
  • Die Regelungen des StUG für den Umgang mit den Akten, also die Erteilung von Auskünften und die archivische Bearbeitung sollen weiter gelten, bis ein novelliertes BArchG die Vorschriften des StUG erübrigt.“

2. „Die Kommission erachtet eine administrative Zusammenlegung der BStU-Außenstellen […] unter dem Dach des zukünftigen eigenständigen Stasiunterlagenarchivs des Bundes­archivs als sinnvoll.“

Dabei geht es der Kommission vor allem darum, die Außenstellen – ggf. auch mit Neubauten – so auszustatten, dass „die archivarisch-konservatorische Aufbewahrung den Kriterien des Bundesarchivs entsprechen, was bisher nicht überall der Fall ist.“ Zugleich soll aber eine „dezentrale Aufarbeitung“ am „historische Ort“ berücksichtigt werden. In jedem der fünf Bundesländer sollte mindestens eine Außenstelle bleiben.

Dabei soll aber weiterhin „das Bundesarchiv in seinen Außenstellen Möglichkeiten / Räumlichkeiten zur archivpädagogischen Arbeit vorhalten.“ „Als Symbol der Friedlichen Revolution sind sie ein wichtiger Teil der Bildungsarbeit. Um die Infrastruktur für die Aufarbeitung der SED-Diktatur in den Regionen zu stärken, soll die Netzwerkbildung unter den örtlichen und regionalen Trägern politisch-historischer Bildung gefördert werden.“

3. „Die Expertenkommission hält das Amt einer/eines Bundesbeauftragten weiterhin für erforderlich, da die Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur und ihren Folgen nach wie vor eine gesellschaftliche Bedeutung besitzt und von diesem Amt zudem eine symbolische Wirkung für die Weiterführung der Aufarbeitung ausgeht.“ Der Bundesbeauftrage soll künftig nicht mehr der Archivbehörde vorstehen, deshalb soll „dem Amt der/des Bundes­beauftragten ein neues Profil“ gegeben werden.

4. Weiterhin werden Aussagen zur Nutzung des Geländes Normannenstraße / Magdalenen­straße in Berlin gemacht, wo künftig u.a. auch Archiv des MfS, Archiv der Robert-Havemann-Gesellschaft, Ständige Ausstellungen und mehr untergebracht werden sollen. Dort soll auch in einer selbstständigen „Forschungsstelle DDR-Staatssicherheit in vergleichender Perspek­tive“ die Forschungsarbeit weitergeführt werden.

5. Die Kommission versucht mit den Vorschlägen, einerseits Mängel in Struktur und Arbeits­weise der jetzigen Behörde abzustellen, andererseits ist unverkennbar, dass sie in die gesell­schaftliche Normalität der Bundesrepublik überführt werden soll.

Zugleich wird aber bereits im Arbeitsauftrag des Bundestages festgestellt: „Erstmalig in der Welt wurden […] den  Bürgerinnen und Bürgern die Informationen unmittelbar zugänglich  gemacht, die eine Geheimpolizei über sie gesammelt hatte. […] Die Arbeit des BStU ist für die demokratische und rechtsstaatliche Aufarbeitung der SED-Diktatur von hoher Bedeutung und besitzt im Inland und im Ausland hohen Symbolwert und große Akzeptanz. International ist die Behörde zum Vorbild für einen geordneten und zukunftsweisenden Umgang mit diktatorischer Vergangenheit geworden. Ihre Existenz und ihre Arbeit gelten insbesondere in den Ländern des ehemaligen Ostblocks als ermutigendes Beispiel.“  

Zweifellos müssen die BStU – Archive auf den Stand der Anforderungen, die für das Bundes­archiv gelten, gebracht werden. Die Eingliederung in die organisatorische und gesetzliche Struktur des Bundesarchives ist dabei sicher eine Möglichkeit.

Die Voraussetzung, dass der Zugang zu den Akten für die Betroffenen in der jetzigen Form bleibt, ist erst einmal festgeschrieben. Das in den Außenstellen es zu einer Konzentration kommen soll, ist unter diesen Gesichtspunkten nachvollziehbar, zumal die unmittelbare Einsichtnahme in persönliche Akten in den verbleibenden Außenstellen weiterhin möglich sein soll.

6. Allerdings bleibt der Bericht bei den Vorschlägen, die die Mängel abstellen sollen, sehr vage. Es werden weder konkrete Aussagen gemacht, wie die derzeit lange Wartezeit bis zur Einsichtnahmen abgebaut werden soll, noch wie die Standards zur gesicherten Aufbewah­rung erreicht werden sollen, zumal die Unterlagen weiterhin dezentral gelagert werden sollen. 

Vage oder gar missverständlich bleibt auch die Aussage, dass das StUG in ein „novelliertes BArchG“ überführt werden soll, dass „die Vorschriften des StUG erübrigt“. Hier müsste zumindest detailliert die Forderung aufgemacht werden, dass alle speziellen Aussagen zur Einsichtnahme usw., die das StUG ausmachen, in das novellierte BArchG einfließen.

Auch das Amt des Bundesbeauftragten soll mit neuem Profil, aber ohne die Aufgabe der Behördenleitung, umgestaltet werden. Richtig ist dabei, dass die Forschungsarbeit und die Bildungsarbeit besser mit den andern – meist aus zivilgesellschaftlichem Engagement erwachsenen – Gedenk- und Bildungsstätten vernetzt und verzahnt werden soll.

Zu den Problemen, wie dieses Amt dann künftig zu den mit gleicher Aufgabe betrauten Landesbeauftragten stehen soll, fehlen aber ebenso klare Aussagen. 

7. Problematisch sehen wir vor allem die voraussichtliche Zusammenlegung der Außen­stellen: Sie ist es nicht wegen der Konzentration der Aktenverwahrung, sondern weil damit in mehreren ehemaligen Bezirksstädten die Symbole der Friedlichen Revolution verloren gehen. Problematisch ist das vor allem dort, wo sich keine andere Einrichtung herausge­bildet hat, die an die Friedliche Revolution und den Weg zur deutschen Wiedervereinigung erinnert und damit Bildungsarbeit betreibt – wie in Suhl – oder die einzige bestehende Einrichtung nicht genug stabilisiert oder nicht in der Lage ist, die genannten Aufgaben umfänglich auch noch zu erfüllen, wie z.B. in Gera.

8. Letztlich bleibt die Frage, warum die Umgestaltung denn dann noch erfolgen soll. Sind doch die im Bericht genannten Aufgaben ebenso umsetzbar, wenn die Behörde mit dem Bundesbeauftragten an der Spitze in ihren Mängeln „ertüchtigt“ wird. Aber vor allem die symbolische Wirkung, die – wie ja beschrieben – von dieser Konstruktion ausgeht, die weit über Deutschland hinaus reicht, bliebe unangetastet.

Der Auftrag für die Kommission lässt die Form ja bewusst offen. Und die Kommission bleibt den Nachweis schuldig, dass die bisherige Struktur in verbesserter Form dasselbe leisten kann, ebenso wie den Nachweis, dass es die vorgeschlagene veränderte Form besser kann.

9. Auch in den meisten ehemaligen Ländern des Ostblocks (Polen, Tschechische Republik, Slowakei, Ungarn, Rumänien) werden die Unterlagen der ehemaligen Staatssicherheits­dienste jeweils von gesonderten Behörden verwaltet, die sich in Auftrag und Zuschnitt erheblich an der BStU orientieren.

10. Angesichts der Diskussionen, die seit geraumer Zeit um ein Denkmal für die Überwin­dung der SED-Diktatur und der deutschen – und europäischen – Teilung geführt werden, ist das erst recht unverständlich.

Alle Entwürfe in Berlin und Leipzig für ein solches Denkmal haben sich als ungeeignet, zumindest missverständlich erwiesen.

Die BStU, verbunden mit einer besseren Aktennutzung und –erschließung ist – richtig verstanden und richtig umgesetzt – ein Denkmal eben dessen.

11. Als Beispiel möge die Arbeit in der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße in Erfurt stehen. Sie kooperiert schon heute mit der nahegelegenen BStU-Außenstelle, diese Koope­ration kann und muss ausgebaut werden. Sie ist zugleich eine Gedenkstätte an die Opfer und die Repressalien der SED-Diktatur wie an die Friedliche Revolution. Und zugleich ist sie eine Bildungsstätte, die sowohl das Funktionieren der Diktatur als auch deren Überwindung durch die Oppositions- und Widerstandsbewegungen und in der Friedlichen Revolution anschaulich vermittelt und somit zur Demokratiebildung beiträgt.

Dokumentation der Robert-Havemann-Gesellschaft

Zur Diskussion um die Zukunft der Aufarbeitung der zweiten deutschen Diktatur

Die Robert-Havemann-Gesellschaft dokumentiert hier in chronologischer Reihenfolge und ohne Anspruch auf Vollständigkeit Veröffentlichungen und Positionen zur Diskussion um die sogenannte Expertenkommission zur Zukunft des Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit. havemann-gesellschaft.de/index.php

Gunter Weissgerber, ehemaliger Bundestagsabgeordneter der SPD, stellt hier ein Forum zur Diskussion online.