"Zwischen Anpassung und Widerspruch. Leben in der Diktatur"

Roland Jahn
Rede Erfurter Landtag
11.11.2011

Ihnen kann ich es ja jetzt eingestehen. Vor Ihnen steht ein Mitglied der „Fuchs-Bande“. So irre war die Stasi, so gefürchtet die Kritik und Analyse von Jürgen Fuchs, das diejenigen, die zu seinem Freundeskreis gehörten, die Fuchs-Bande genannt wurden. Staatsfeindliche Hetzer. Feinde der DDR, als das beschimpften sie uns. Dabei wollten wir doch nichts anderes, als selbstbestimmt leben, in unserer Heimat Thüringen.


Es war Jürgens Buch „Vernehmungsprotokolle“ über seine Erfahrungen im Stasi-Knast, das mir die Kraft gab, durchzuhalten, als ich selber in der Zelle der Stasi saß. Seine Texte wurden zur Überlebenshilfe für viele politische Gefangene. Jürgen Fuchs hat wie kein anderer die Methoden der Stasi analysiert.

Die Methoden, mit denen in psychologischer Kleinarbeit der freie Wille von Menschen zerstört werden sollte. All das im Dienste einer Ideologie, die nicht ertragen konnte, dass Menschen selbstbestimmt leben wollen.

Jürgen Fuchs war ein Aufklärer. Er hat sich nicht unterkriegen lassen. Auch nicht von Diffamierung und Einschüchterung. Er hat sich nicht abgefunden mit dem Unrecht in der DDR. Er hat nicht aufgegeben, obwohl viele Menschen von dem Thema nichts mehr hören wollten. Und am Ende hat er Recht  behalten. Die Mauer ist gefallen.

22 Jahre ist die Maueröffnung, die Öffnung der Grenze durch Deutschland, jetzt schon her. Ein guter Anlass sich an diesem Jahrestag klar zu machen, was Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl bedeutet haben. Und was es für die Menschen hieß, in der Diktatur hinter der Mauer zu leben.

Ein Leben in Unfreiheit, ein Leben zwischen Anpassung und Widerspruch. Es darf nicht vergessen werden, dass an dieser  Grenze Menschen erschossen wurden, nur weil sie in Freiheit leben wollten. Und es soll auch nicht vergessen werden, dass es der Mut der Menschen, das es die friedliche Revolution in der DDR war, auch hier in Thüringen, die diese menschenunwürdige Grenze einriss.

An das Leben mit der Mauer und an die Maueröffnung hat jeder von uns seine ganz persönlichen Erinnerungen.
Für mich bedeutete die Mauer vor allem die lange schmerzvolle Trennung von meiner Heimat Thüringen, von meiner Familie und von meinen Freunden.

Ich erinnere mich aber auch an die Freude als wir uns nach der Maueröffnung in den Armen lagen. Es war genau heute vor 22 Jahren, am 11.November 1989, als ich zum ersten Mal wieder in mein Elternhaus nach Jena zurückgekehrt bin.

Sechs Jahre zuvor, im Juni 1983, hatte mich die Stasi gewaltsam abgeschoben aus meiner Heimat Thüringen. Unter einem Vorwand war ich damals in Jena auf das Wohnungsamt bestellt worden. Dort teilten mir die Genossen vom Rat der Stadt Jena plötzlich mit, dass ich mit sofortiger Wirkung aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassen sei und des Landes verwiesen werde. Den Rest des Abtransportes überließen sie der Polizei und den Männern von der Staatssicherheit.

In Hemd und Hose, mit Knebelketten gefesselt wurde ich zum Grenzbahnhof Probstzella gebracht. Mir gingen viele Gedanken durch den Kopf:
Ich will doch gar nicht weg!
Das können die doch nicht so mit mir einfach machen!
Was ist mit meinen Eltern?

Umringt von einer Horde Stasi-Mitarbeiter wollte ich unbedingt eines wissen: Warum bringen diese Männer mich wie ein Stück Frachtgut gegen meinen Willen aus der Heimat weg?

Ich fragte den Polizisten, der mich bewachte: Was würden Sie dazu sagen, wenn das hier mit Ihrem Sohn gemacht würde? Eine Antwort bekam ich nicht, stattdessen zog er die Knebelketten noch fester an. Ich konnte nur noch schreien.

Diesen Moment habe ich nie vergessen. Zwei Menschen in einer extremen Situation. Und dann diese Reaktion. Ich wollte erkennen, wie dieser Mensch denkt, der mir das antut und ob er noch fühlen kann, wie ein Vater, der seinen Sohn liebt.

Mein Appell an seine Menschlichkeit aber hat ihn nur verhärtet. Er hat dicht gemacht. Wollte sich in dem Moment der Verantwortung für sein Tun nicht stellen. Mir keine Schwäche zeigen. Nicht daran denken, dass er jemandem Unrecht antut.
Was ging in seinem Kopf vor?
Warum hat er das getan?
Warum hat er mitgemacht?

Mitmachen oder verweigern, anpassen oder widersprechen. Das sind Fragen vor denen viele von uns in der DDR fast täglich standen.

Ich erinnere mich an den November 1976. Ich war Student der Wirtschaftswissenschaften an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Im Seminar  „Wissenschaftlicher Kommunismus“ übte ich Kritik an der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann, die kurz zuvor erfolgt war. Was ich nicht wusste, der Seminarleiter war Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit. Er erstattete Bericht.

Die Folge: Gegen mich begann ein Kesseltreiben betrieben von SED-Funktionären und Staatssicherheit. Die Universitätsleitung beschloss, mich auf Grund meiner Meinungsäußerung wegen „Gröblicher Verletzung der Studiendisziplin“ zu exmatrikulieren. Damit dieser Akt demokratisch legitimiert erscheint wurde eine Abstimmung in der Seminargruppe anberaumt.

Am Abend vor der Abstimmung saß ich mit meinen Freunden aus dem Seminar in einer Kneipe. Wir tranken Bier und diskutierten. Sie klopften mir auf die Schulter und sagten: „Roland das wird schon. Roland wir stehen zu dir.“

Am nächsten Tag, keine 20 Stunden später, dann die Abstimmung. Das Ergebnis: 13:1 --  gegen mich. Das Ende meines Studiums war besiegelt.

Nach der Abstimmung kamen meine Kommilitonen einzeln zu mir. „Du musst verstehen, Roland, meine Frau bekommt ihr zweites Kind. Ich kann nichts riskieren.“ Sagte einer. „Es tut mir leid, aber mein Vater ist in herausgehobener Position. Ich kann ihn doch nicht gefährden.“ Sagte ein anderer.
Erklärungen. Ausflüchte. Rechtfertigungen.

Ich habe sie alle verstanden. Denn ich wusste Bescheid. Auch ich hatte mich ja jahrelang in vielen Situationen angepasst an die Vorgaben des SED-Staates. Auch ich war mal ein Rädchen was sich drehte im Mechanismus der Diktatur.

„Seid bereit - immer bereit“- So begrüßte auch ich im Chor der Thälmann-Pioniere die Lehrer.

Ich erinnere mich wie ich in der 8.Klasse am 1.Mai 1968 im Blau-Hemd der Freien Deutschen Jugend mitmarschierte an der Ehrentribüne der SED-Kreisleitung Jena vorbei. Ich machte mir keine Gedanken über das für und wider.

Der Grundwehrdienst war Pflicht, und so leistete ich ihn ab bei der Bereitschaftspolizei in Rudolstadt. Nicht freiwillig, aber ich war dabei.

Stationen eines typischen DDR-Kindes, in den vorgeschriebenen Bahnen. Ich wollte dabei sein, nicht ausgegrenzt sein. Ich wollte ein glückliches Leben führen in Schule und Familie.

Und so nahm ich auch Rücksicht auf die Menschen, die mir lieb sind im Leben. Zum Beispiel auf meinen Vater. Im VEB Carl Zeiss Jena hatte er als Ingenieur an der Entwicklung der Weltraumkamera mitgearbeitet, mit der Siegmund Jähn, der gefeierte DDR-Kosmonaut, ins All flog.

Mein Vater machte mir öfter deutlich, dass er Schwierigkeiten im Betrieb bekommt, wenn ich in der Schule oder später an der Uni widerspreche. Er habe mit seiner Hände Arbeit, ohne SED-Mitgliedschaft, seine berufliche Existenz geschaffen. Das solle ich doch nicht gefährden, für ein kleines Stück Meinungsfreiheit. Es gehe schließlich um das Glück der ganzen Familie.

Und so habe ich manches Mal den Mund gehalten, statt meine Meinung offen zu sagen.

Anpassen oder widersprechen. Fast täglich musste ich mich entscheiden. Widersprechen, nein sagen, das war eben nicht einfach in der DDR. Man konnte nicht berechnen, was das für Folgen hatte, Folgen für einen selbst, Folgen für die Familie.
Willkür, Sippenverfolgung, das System der Angst. Dem konnte man sich nicht einfach entziehen. Selbst wenn man jung und leicht rebellisch war.
Es brauchte Anlässe, manchmal außergewöhnliche Ereignisse, um die Angst zu verlieren. Jürgen Fuchs hat dies „Das Ende einer Feigheit“ genannt.

Meine Feigheit hatte ein Ende, als mein Freund Matthias Domaschk aus Jena im April 1981 in einem Verhör in der Stasi-Haft zu Tode kam. Er war gerade mal 23 Jahre alt.

Der Tod von Matz, wie wir ihn nannten, war Einschüchterung und Ansporn zugleich. Mein Mittel gegen die Angst hieß jetzt: keine faulen Kompromisse mehr. Hilfreich dabei war, dass mein Vater in jenem Jahr Invalidenrentner wurde. Ich hatte nicht mehr das Gefühl, auf seine berufliche Stellung Rücksicht nehmen zu müssen.

Meine Aktionen wurden mutiger. Ich sagte meine Meinung nicht mehr nur in Diskussionen hinter verschlossenen Türen, sondern auf der Straße, mit öffentlichen Demonstrationen.

Im September 82 zog die Stasi mich aus dem Verkehr. Nach Monaten in der Einzel-Haft war ich kurz vor dem Zusammenbruch. Die Stasi-Vernehmer drohten mir, dass ich meine dreijährige Tochter ein paar Jahre nicht sehen werde.
Als sie mir dann Fotos von ihr vorlegten, rollten mir die Tränen. Die Stasi-Vernehmer amüsierten sich dabei.

Auch die Angst vor der Sippenhaft wurde zur Realität. Weil sein Sohn den Staat kritisierte und ins Gefängnis gesperrt wurde, hat man meinem Vater sein Lebenswerk genommen. Fußball - das war sein Leben. Als Leiter der Nachwuchsabteilung hatte er mit Herz und Leidenschaft den Fußballclub Carl Zeiss Jena mit aufgebaut.

Das war für ihn ein Ersatz für den zerstörten Traum vom Fußballer, der Traum zerstört als er im Krieg ein Bein verlor. Für seine Verdienste einst zum Ehrenmitglied Nummer 1 ernannt, wurde er mit Vollzug der Sippenhaft eiskalt aus dem Fußball-Club geworfen.

Für meinen Willen, mir ein Stück Freiheit zu nehmen, mussten auch andere bezahlen.
Als mir das klar wurde, habe ich mich schon gefragt, ob mein Weg des offenen Widerspruchs der richtige ist.

Ich hatte Glück.
Öffentliche Proteste in Ost und West haben für meine vorfristige Freilassung gesorgt und mir Mut und Kraft gegeben.
Ich weiß nicht, wie es ausgegangen wäre, wenn ich mein Strafmaß von 22 Monaten hinter Gittern hätte absitzen müssen. Ich weiß nicht, ob ich die Kraft gehabt hätte, weiter aus dem System der Angst auszubrechen.
Angst – das war der Kitt, der die Diktatur zusammen hielt. Die Masse der Menschen passte sich den Regeln des herrschenden politischen Systems an. Sie wurden zu Mitläufern. Ergebenheitsadressen an die SED gehörten zum Alltag wie das Zähne putzen. In den Schulen, in den Universitäten, in den Betrieben. Das ist halt so - war die gängige Formel.

Diplomarbeiten, Doktorarbeiten und selbst Schulaufsätze wurden mit Zitaten des Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker garniert. Man bildete sich ein, dass man es müsste.

Anpassen, obwohl man eigentlich dagegen ist. Die Kandidaten der Nationalen Front abnicken, obwohl man sie gar nicht wählen wollte. Hauptsache nicht auffallen. Das könnte Nachteile bringen.

Doch auch in der der DDR konnte sich jeder Einzelne ein kleines Stück Freiheit nehmen, ohne einen zu hohen Preis zu zahlen. Es kostete nicht das Leben, wenn man sich verweigerte. Es kostete nur das Wohlleben, und oft nicht mal das.

Anpassen oder Widersprechen, dafür gibt es in einer Diktatur allerdings keinen allgemein gültigen moralischen Maßstab. Die Zwänge oder die scheinbaren Zwänge, in denen sich die Menschen befanden, sind meist nur individuell bewertbar. Die Frage nach dem eigenen Verhalten ist eine Frage von Werten, von Anstand und Gewissen.

Das gilt auch heute, wenn es darum geht die Vergangenheit aufzuarbeiten; im Hier und Heute mit dieser Verantwortung umzugehen. Das heißt auch, nicht so tun als ob nichts gewesen sei. Vergessen oder verdrängen befreit nicht von der eigenen Verantwortung, egal wie lange es her ist.

Deshalb ist es wichtig, dass sich jeder selbst hinterfragt. Derjenige, der sich angepasst hat, der das System mitgetragen hat, der sollte sich bekennen und wissen, welche Folgen das hatte.

Wo ist der Polizist, der die Knebelkette anzog?
Wo sind die Studenten, die meine Exmatrikulation besiegelten?
Wo sind die Sportfunktionäre, die meinem Vater das Lebenswerk zerstörten?

Ja sie sind mitten unter uns. Und das ist auch gut so. Ich bin froh, dass ich in einer Demokratie, in einem Rechtsstaat lebe, der das möglich macht. Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie gilt für alle. Für die, die Diktatur bekämpft haben, für die, die sich angepasst haben und auch für die Täter des Unrechtsstaates.

Jeder soll eine faire Chance bekommen, jeder der bereit ist, sich seiner Verantwortung zu stellen. Doch das tun nur wenige.

Ich vermisse das Bekenntnis zur Biografie. Bei den Funktionären und bei den Mitläufern. Ich vermisse das Bekenntnis zur Verantwortung für das eigene Handeln. Ich vermisse die Bitte um Entschuldigung.

Es geht nicht um Vergeltung, sondern um Aufklärung. Es geht darum, zu begreifen wie Diktatur funktioniert. Und warum es so lange gedauert hat, bis die Menschen die Angst verloren haben.

Was ich erlebe, ist vielfach Rechtfertigung und Beschönigung der Verhältnisse in der DDR. Die Auseinandersetzung mit dem Verhalten der Menschen in den Zwängen und Spielräumen der Diktatur ist bei der Aufarbeitung der DDR bisher viel zu kurz gekommen.
Dabei kann der kritische Blick auf die eigene Biografie für jeden Einzelnen auch eine Chance sein. Ob privat, im Beruf oder auch in der Politik. Eine selbstkritische Reflexion kann befreien von der Last des damaligen Verhaltens.

Und was ist mit denjenigen, die das System der Angst betrieben haben? Was ist mit den hauptamtlichen Mitarbeiter der Stasi und den SED-Funktionären, den Auftraggebern?

Auch diejenigen, die mittendrin wirkten, im Staats- und Parteiapparat, auch die sollen ihre Chance in der neuen Gesellschaft bekommen. Aber nicht ohne Bedingungen.
Aufklärung und glaubhafte Reue sind Voraussetzung dafür. Barmherzigkeit führt nur über den bitteren Weg der Erkenntnis. Diesen Satz hat mir mein Freund, der Thüringer Pfarrer Walter Schilling, mit auf den Weg gegeben.

Gerade deshalb ist es wichtig, dass die Akten der Staatssicherheit genutzt werden. Erstmalig in der Welt sind mit der friedlichen Revolution die Akten einer Geheimpolizei den überwachten Bürgern, und auch Forschung, und Medien zugänglich gemacht worden. Mit ihnen können wir den Weg der Erkenntnis beschreiten und für Aufklärung sorgen, und Verantwortliche benennen.

Hier in Erfurt, und darauf können die Thüringer stolz sein, hat es angefangen, am 4. Dezember 1989, mit der allerersten Besetzung einer Stasi-Bezirksdienststelle. Mutige Bürgerinnen haben hier in Erfurt den Grundstein gelegt für die Transparenz der Geheimpolizei. Sie haben die Akten gesichert und nutzbar gemacht. Durch die Offenlegung der Akten wird gezeigt, wie die Machtinstrumente der Diktatur wirkten. Wir erfahren wer, wie und warum für die Geheimpolizei gearbeitet hat.

Vor 22 Jahren setzte der Osten damit ein Signal für mehr Transparenz in der Gesellschafft. Die Transparenz über das Wirken der Staatssicherheit der DDR förderte auch das Bewusstsein für mehr Transparenz von staatlichem Handeln in unserer Demokratie.
Transparenz und Aufklärung sind der beste Weg einen gesellschaftlichen Diskurs zu führen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Mit der Stasi-Unterlagen-Behörde leistet sich unsere Demokratie eine einzigartige Institution zur Aufarbeitung der zweiten deutschen Diktatur nach rechtsstaatlichen Prinzipien. Erkennen, wie es war, wie die zweite deutsche Diktatur funktioniert hat, das hilft Demokratie zu gestalten.

Die Institutionen unserer Demokratie einer Prüfung im Spiegel der Diktatur zu unterziehen, schärft die demokratischen Sinne. Wenn man weiß, wie Meinungsfreiheit unterdrückt werden kann, weiß man sie besser zu schätzen und zu schützen. Wer Unfreiheit klar vor Augen hat, kann Gefahren für die Freiheit erkennen.

Vertrauen in die Institutionen unserer Demokratie ist eine wesentliche Säule unseres Rechtsstaates. Transparenz schafft Vertrauen, schafft Vertrauen darüber, wer für das Gemeinwesen handelt, wer staatliches Handeln ausübt.

Transparenz heißt nicht Generalverdacht.
Im Gegenteil: Transparenz beseitigt Generalverdacht. Aufklärung ist das beste Mittel gegen Gerüchte, Unterstellungen und Skandalisierung.

Mit Hilfe der Akten ist es möglich, Biografien differenziert zu bewerten. So sind viele Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes dankbar, mit Hilfe von Auskünften der Stasiunterlagen-Behörde sachlich fundierte differenzierte Entscheidungen in Personalfragen treffen zu können.

Ja, es ist richtig, es ist richtig immer wieder zu betonen: man darf die Menschen nicht nur ihr Leben lang danach beurteilen, was sie vor zwanzig Jahren oder mehr für die Stasi gemacht haben. Man muss die Menschen auch danach beurteilen, was sie unter den neuen Bedingungen leisten. Aber dazu zählt auch der Umgang mit der eigenen Vergangenheit.

Wer die Konspiration mit der Stasi bis heute verschweigt, zerstört bewusst das Vertrauensverhältnis mit dem Arbeitgeber. Es ist gut, wenn der Arbeitgeber Öffentlicher Dienst durch gesetzlich geregelte Überprüfungen gerade in Leitungsfunktionen vom Vertrauensbruch erfahren kann.

Das Lügen darf nicht belohnt werden. Transparenz ist das beste Mittel gegen die Lüge. Transparenz ist das beste Mittel für Vertrauen in den Öffentlichen Dienst in ganz Deutschland.

Und eines ist mir ganz besonders wichtig.
Aufklärung - das ist die Voraussetzung für ein Klima der Versöhnung. Man kann nur das vergeben, was man auch weiß. Man kann nur dem vergeben, den man auch kennt.

Ich denke viele der politisch Verfolgten, mich eingeschlossen, sind bereit zu vergeben. Doch dazu müssen die Täter ihr Handeln endlich offenlegen und glaubwürdig bereuen. Denn Versöhnung heißt, die Konflikte von damals zu befrieden und ein Zusammenleben zu schaffen, das ohne Gräben auskommt. Das wünsche ich mir.

Ich wünsche mir ein Vergeben ohne zu vergessen.
Ich wünsche mir, dass wir verstehen, wie es war, ohne uns zu beschimpfen. Dass wir die, die gelitten haben, respektieren.

Und dass die, die Leid zugefügt haben, die Verantwortung für ihr Handeln übernehmen und Einsicht zeigen.

Je besser wir Diktatur begreifen, umso besser können wir Demokratie gestalten. Das ist die Lektion aus den Akten, die wir den nächsten Generationen mitgeben müssen.
Die Schule der Demokratie, sie endet nie.