Gaucks Äußerungen zur Linkspartei

Die Auszüge im Wortlaut seines Interviews im Bericht aus Berlin, 02.11.2014

Mit Aussagen über eine mögliche thüringische Landesregierung unter Führung der Linkspartei hat Bundespräsident Gauck für Aufsehen gesorgt. tagesschau.de dokumentiert Auszüge im Wortlaut sowie das Video seines Interviews mit dem Bericht aus Berlin. Das Gespräch wurde in der Berliner Gethsemanekirche aufgezeichnet.

https://www.tagesschau.de/inland/gauck-zu-linkspartei-101.html

Ulrich Deppendorf: Herr Gauck, wo waren Sie eigentlich am 9. November 1989?

Joachim Gauck: Ich war in Rostock, meiner Heimatstadt. Und ich war dort Sprecher des Neuen Forums und war dort führend mitbeteiligt an der Organisation der Demos. Und ich war auf der Straße, denn der 9. November war ein Donnerstag. Und unsere Rostocker Demos waren nicht am Montag, sondern immer am Donnerstag. Und deshalb war ich abends auf der Straße - erst in der Kirche, dann auf der Straße, vor der Stasi, vor der Parteizentrale, vor dem Rathaus.

Deppendorf: Sie haben vor ein paar Wochen, am 9. Oktober, in Leipzig gesagt: Vor der Einheit kam die Freiheit. Sie spielten damit auf die Demonstrationen in Leipzig an, am Leipziger Ring, wo 70.000 Menschen gegen das DDR-Regime protestiert haben, "wir sind das Volk" gerufen haben. War das vielleicht sogar der bedeutendere Tag als der 9. November?

Gauck: Ich bin ganz sicher, dass es so ist. Nur ist der 9. November die große Bildikone. Die ganze Welt kennt das: die feiernden Menschen. Diese Mischung von Freude und Tränen. Dieses Glück, ein unerwartetes Erlebnis mitzugenießen. Aber der 9. Oktober - das waren die Menschen, die auf den Straßen waren - und die dann überall in der DDR auf den Straßen waren - Woche für Woche, sogar in Mecklenburg und in jedem Winkel des Landes, ausgehend von den Kirchen. Und darum ist diese Kirche hier auch so ein geeigneter Ort für diese Sendung. Dies ist hier eigentlich ein Tempel der Demokratie. Und ohne diese Gethsemanekirche und die anderen Orte in der DDR wie die Nikolaikirche keine schönen Bilder vom Brandenburger Tor und vom Mauerfall! Und das gehört einfach zusammen. Und deshalb bin ich ganz dankbar, dass wir hier sitzen.

Und das waren damals hier bewegte Tage. Die Staatssicherheit hat vor der Kirche Leute zusammengetrieben, die Polizei hat sie geprügelt, es gab hier Mahnwachen. Am 7. Oktober, da waren hier total viele Menschen versammelt, die protestieren wollten, als die anderen feierten. Und am 9. Oktober kam Bischof Forck und sagte: Dieses Land braucht Veränderung. Das alles ist hier mit Gethsemane verbunden.

Deppendorf: Am 7. Oktober hatte ja die Stasi auch noch mal zugegriffen. Es sind ja richtig Leute verhaftet worden. Herr Gauck, Sie waren jahrelang verantwortlich für die Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit. Sind Sie eigentlich heute - im Nachhinein, nach 25 Jahren - der Ansicht, die Täter sind alle sozusagen erfasst worden, auch ihrer gerechten Strafe zugegangen?

Gauck: Ja, der Täterbegriff ist ja ganz umfassend. Und wir beschreiben mit Tätern ja auch Menschen, die politische Verantwortung trugen, ohne dass sie strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen wären. Nicht jede Schuld ist kriminelle Schuld. Und deshalb können wir sagen: Das, was nach unserer Rechtsauffassung vor Gericht gehörte, ist vor Gericht gelandet. Aber vieles an Unrecht ist eben nicht justizförmiges Unrecht, das vors Strafgericht gehört. Wir müssen über diese Leute reden, über ihre Verantwortung reden. Und damit wird auch ihr antidemokratisches Tun delegitimiert.

Deppendorf: Also Sie bleiben dabei: Die DDR war ein Unrechtsstaat? Oder war es nur ein Unrechtsregime?

Gauck: Bei Unrechtsstaat kommen zwei Dinge zusammen. Staat - war sie. Und Unrecht - gab es. Und zwar durch nichtdemokratisches Handeln, Einschränkung der Bürger- und Menschenrechte, durch vor allen Dingen die Tatsache, dass die Partei über das Recht herrschte. Es gab keine Verwaltungsgerichte, wo ich mich gegen staatliche Willkür hätte wehren können vor Gericht. Ich konnte höchstens eine Eingabe machen wie zu absolutistischen Zeiten. Es gab kein Verfassungsgericht. Und es gab eine allmächtige Staatssicherheit, die bis in die privatesten Sphären der Leute hinein Ohnmacht schuf. Ja, wie wollen wir denn das nennen?

Deppendorf: Wenn wir jetzt mal Bilanz ziehen und anfangen - nach 25 Jahren: Möglicherweise wird bald ein Linker Ministerpräsident eines Bundeslandes, Herr Ramelow. Die Linke hat in Teilen die Nachfolge angetreten der alten SED. Ist das für Sie dann Normalität oder schwer zu verstehen?

Gauck: Naja, Menschen, die die DDR erlebt haben und in meinem Alter sind, die müssen sich schon ganz schön anstrengen, um dies zu akzeptieren. Aber wir sind in einer Demokratie. Wir respektieren die Wahlentscheidungen der Menschen und fragen uns gleichzeitig: Ist die Partei, die da den Ministerpräsidenten stellen wird, tatsächlich schon so weit weg von den Vorstellungen, die die SED einst hatte bei der Unterdrückung der Menschen hier, dass wir ihr voll vertrauen können? Und es gibt Teile in dieser Partei, wo ich - wie viele andere auch - Probleme habe, dieses Vertrauen zu entwickeln. Und wir erleben gerade in Thüringen einen heftigen Meinungsstreit: Ja, was ist denn diese Partei nun wirklich?

Debatte um linken Ministerpräsidenten - Äußerungen zum Interview mit Bundspräsident Gauck

http://www.sueddeutsche.de/politik/regierungsbildung-in-thueringen-oezdemir-nimmt-gauck-in-schutz-1.2200562

  • Grünen-Chef Cem Özdemir nimmt Bundespräsident Joachim Gauck gegen Kritik aus der Linkspartei in Schutz. Man müsse Gaucks Bedenken ernst nehmen.
  • Die Parteivorsitzende der Linken, Katja Kipping, hatte Gauck Parteilichkeit vorgeworfen.
  • Zuvor hatte Gauck Bedenken geäußert, ob die Linkspartei tatsächlich schon so weit entfernt von SED-Vorstellungen sei, dass sie einen Ministerpräsidenten in Thüringen stellen könne.

"Das sollte man ernst nehmen"

Der Parteivorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, hat Bundespräsident Joachim Gauck gegen Angriffe aus der Linken in Schutz genommen: "Der Bundespräsident hat nur das gesagt, was viele denken, die das Unrecht, das in der DDR vorherrschte, zum Teil noch am eigenen Leib erfahren haben. Das sollte man ernst nehmen", sagte Özdemir zu Süddeutsche.de.

"Mit Parteipolitik hat das nichts zu tun", sagte Özdemir. "Genau aus diesem Grund haben die Thüringer Grünen darauf bestanden, dass die Linkspartei in einer gemeinsamen Erklärung die DDR als Unrechtsstaat bezeichnet. Die Aufarbeitung sollte aber auch die ehemaligen Blockparteien umfassen."

Gauck fehlt das Vertrauen

Gauck hatte zuvor Bedenken gegen einen möglichen linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow in Thüringen geäußert. Dies würde ihm einiges abverlangen, sagte Gauck laut Vorabbericht in einem Interview mit der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin", die an diesem Sonntag ausgestrahlt wird: "Menschen, die die DDR erlebt haben und in meinem Alter sind, die müssen sich schon ganz schön anstrengen, um dies zu akzeptieren."

Die Wahlentscheidung sei zwar zu respektieren, dennoch bleibe die Frage: "Ist die Partei, die da den Ministerpräsidenten stellen wird, tatsächlich schon so weit weg von den Vorstellungen, die die SED einst hatte bei der Unterdrückung der Menschen hier, dass wir ihr voll vertrauen können?", fragt der Präsident.

"Ein Präsident muss seine Worte sehr wägen"

Bei der Linkspartei stießen die Worte des Bundespräsidenten auf scharfe Kritik: Parteichefin Katja Kipping sagte der Bild am Sonntag: "Ein Präsident muss seine Worte sehr wägen. Sobald er sich dem Verdacht aussetzt, Parteipolitik zu machen, ist seine Autorität beschädigt."

Sie "bezweifle, dass Herr Gauck sich mit diesen Äußerungen einen Gefallen" getan habe, sagte die Linken-Politikerin weiter. Gaucks Zweifel "an der demokratischen Gesinnung" der Linken-Parteimitglieder und Wähler weise sie "in aller Form zurück". "So etwas gehört sich für einen Präsidenten nicht", sagte Kipping.

SPD-Vize Ralf Stegner schloss sich der Kritik Kippings an: "Dass sich der Herr Bundespräsident auch bei schwierigen Themen meistens sehr entschieden und klar äußert und dass dies nicht immer allen gefällt, macht seine Stärke und Popularität aus", sagte Stegner dem Tagesspiegel. In strittigen Fragen der aktuellen Parteipolitik sei allerdings Zurückhaltung "klug und geboten", "zumal die Amtsautorität des Staatsoberhauptes auf seiner besonderen Überparteilichkeit beruht."

Nach Ansicht von CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer verdiene Gaucks Botschaft dagegen Respekt: "Es geht in Thüringen um eine einschneidende Richtungsentscheidung für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung", sagte Scheuer den Kieler Nachrichten.

Kritik auch vom Stasi-Unterlagen-Beauftragten

Derzeit stehen die Chancen für einen linken Ministerpräsidenten in Thüringen nicht schlecht. Wenn die SPD, bei der momentan eine Mitgliederbefragung läuft, den Weg für Rot-Rot-Grün freimacht, könnte Bodo Ramelow am 5. Dezember gewählt werden. Damit wäre erstmals ein Politiker der Linken Ministerpräsident eines Bundeslandes.

Gauck sagte mit Blick auf die Linke, es gebe "Teile in dieser Partei, wo ich - wie viele andere auch - Probleme habe, dieses Vertrauen zu entwickeln". Gaucks Misstrauen könnte auch mit seiner Vergangenheit zusammenhängen. Der frühere DDR-Bürgerrechtler war von 1991 bis 2000 der erste Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen.

Auch der derzeitige Stasiunterlagen-Beauftragte, Roland Jahn, übte scharfe Kritik an der geplanten rot-rot-grünen Koalition in Erfurt. "Die Politiker in Thüringen sollten schon wissen, dass die Opfer der SED-Diktatur sich verletzt fühlen, wenn dort ein linker Ministerpräsident regiert", sagte Jahn der Lausitzer Rundschau vom Samstag. Die Linkspartei sei bisher nicht als eine Partei wahrgenommen worden, "der es mit der Aufarbeitung wirklich ernst ist", fügte der frühere DDR-Bürgerrechtler hinzu.

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