Über die Besetzung der Stasi-Bezirksverwaltung gibt es keine ein-eindeutigen Quellen, denen entnommen werden könnte, wie alles genau abgelaufen ist.
Dem MfS war zwar prinzipiell klar, dass es früher oder später zu einer solchen Aktion kommen könnte, in Erfurt waren die Mitarbeiter des MfS dann aber doch überrascht, wann und wie es geschah. Demzufolge wurde nicht in der sonst üblichen Stasi-Akribie protokolliert. Demzufolge gibt es nur wenige Quellen des MfS selbst. Für eine Rekonstruktion des Ablaufes sind wir auf die Erinnerungen von den Akteuren angewiesen. Aber wie verlässlich sind diese?

Im Vorwort des Band I der "Geschichte des Bürgerkomitees Erfurt" weisen wir im Blick auf die darin enthaltenen Zeitzeugenberichte darauf hin:
„Diese Berichte stehen bewußt der Darstellung der Fakten gegenüber. Widersprüche sind bewußt in Kauf genommen worden. Denn Erinnerungen sind immer subjektiv, sind nicht immer Abbild dessen, was wirklich geschehen ist. Erzählte Geschichte ist nicht immer die Wiedergabe der Wirklichkeit sondern erlebte Wirklichkeit.“

Grundlage eines seriösen Umgangs mit Zeitzeugen ist es, die Erinnerungen von Zeitzeugen als ihre Wahrheit anzuerkennen und stehenzulassen. Die damit verbundenen Widersprüche sind hinzunehmen. Durch umfangreiche Recherche und Gegenvergleich muss versucht werden, einen möglichst widerspruchsfreien Ablauf zu rekonstruieren. Manche Widersprüche werden sich nicht aufklären lassen und müssen nebeneinander stehen bleiben.

In der Regel kann davon ausgegangen werden, dass eine frühere Schilderung eher den realen Ablauf beschreibt als eine spätere. Es kann andererseits aber auch geschehen, dass durch das Hören anderer Schilderungen eine Erinnerung später präziser wird oder zumindest so erscheint. Beides ist aber in sich nicht beweisbar.

K. Lenski  schreibt dazu: „ Mit lebensgeschichtlichen, thematischen oder auch Expert/inneninterviews ist es möglich, Quellen zu denjenigen Personengruppen zu generieren, über die es keine Akten gibt und die keine Lobby in der offiziösen Debatte besitzen, Quellen zu Themen, die beschwiegen oder verdrängt werden. Die „Oral history“ wurde seit dem Ende der 1970er Jahre auch in Deutschland etabliert…

Befragt man mehrere Personen zu einem Ereignis, kann man im Anschluss abweichende Abläufe rekonstruieren. Immer wird sich mit dem Narrativ ein subjektives Bedürfnis verbinden, das unter der Deckerzählung zu finden ist. Dieses Bedürfnis, das Verschwinden von Fakten oder ihre Uminterpretation, die Neukonstruktion oder auch das Verschwimmen von mehreren Ereignissen in eins sind einerseits der Gedächtnisleistung der Interviewten, andererseits auch ihren Orientierungen geschuldet. Es ist also zu fragen, wer was wann warum für so bedeutsam hält, dass dies als erzähl- und fixierbar erscheint. Die Erzählung selbst hat wiederum eine eigene Geschichte, so betont es Dorothee Wierling. Sie entsteht in bestimmten sozialen Bezügen und erzählt neben der eigenen auch die Geschichte der Erzählsituation sowie der Erzählgemeinschaft, der die Interviewten angehören. Somit zeigt sich, dass vorrangig die persönliche, subjektive Erfahrung als solche im Interview aufscheint, weniger der objektive.“

"Lebensgeschichtliche Interviews"
Der gesamte Aufsatz von Katharina Lenski, bisher unveröffentlichtes Manuskript als download (PDF 85kB).

Die Schilderung der Ereignisse hier und in unseren Broschüren sind nach diesen Kriterien erstellt. Soweit sich ein Widerspruchsfreier Ablauf aus mehreren Quellen rekonstruieren lässt, wurde er so dargestellt. Die unsicher gebliebenen Teile wurden entsprechend beschrieben.

In den Schilderungen der Zeitzeugen in unseren beiden Broschüren sind dementsprechend Widersprüche zu finden, auch bei denen einer Person zu verschiedenen Zeiten.