Margot Honecker war Auslöser für Friedensgebete

Opens external link in new windowTag des Herrn 21.09.2012

Die christliche Friedensbewegung in der DDR war eine Antwort auf die zunehmende Militarisierung der Gesellschaft. Zuerst engagierten sich Einzelne. Die Einführung des Wehrunterrichts brachte für viele das Fass zum Überlaufen.

1978 wurde der Wehrunterricht als verpflichtendes Unterrichtsfach an den DDR-Schulen eingeführt. Das war die Initialzündung für das Entstehen einer breiten Friedensbewegung vor allem in der evangelischen Kirche. Fotos: epd

Von Matthias Holluba

Erfurt. „Die Imperialisten und ihre Militärs können verschiedene Methoden anwenden, um Kriege auszulösen. Grenzprovokationen und das Stellen von Ultimaten gehören dazu. Auch in ihrem Kampf gegen die sozialistischen Länder scheuen sie nicht vor solchen Mitteln zurück. Das Hauptziel der Imperialisten besteht dabei darin, die Kriegsschuld dem Gegner zuzuschieben ... Deshalb brechen die Imperialisten auch ohne Skrupel internationale Verträge und treten das Völkerrecht mit Füßen.“ Viele DDR-Bürger hatten sich in der 70er und 80er Jahren mit derartiger Propaganda abgefunden. Für andere, vor allem junge Christen und christliche Eltern brachten solche Sätze das Fass zum Überlaufen.

Das Zitat stammt aus dem 1978 erschienenen Lehrbuch Zivilverteidigung für den Wehrunterricht, den die DDR-Regierung in diesem Jahr verbindlich für die 9. und 10. Klassen einführte. „Bis zu diesem Zeitpunkt war die kirchliche Friedensarbeit in der DDR eine Domäne einiger engagierter Enthusiasten. Die Einführung des Wehrunterrichts änderte das. Sie war sozusagen der Startschuss für eine Friedensarbeit als gesamtkirchliches Anliegen“, erinnert sich Dr. Aribert Rothe, Leiter der Evangelischen Stadtakademie „Meister Eckhart“ in Erfurt, der kürzlich in den Ruhestand gegangen ist. 1978 war Rothe junger evangelischer Pfarrer in Leipzig. 1984 kam er als Stadtjugendpfarrer nach Erfurt.

Bei Erziehungsfragen kein Gespräch möglich

Auf die Pläne zur Einführung des Wehrunterrichts hatten katholische und evangelische Kirche mit deutlicher Ablehnung und Kritik reagiert. Vergeblich, denn in Erziehungsfragen ließen sich der DDR-Staat und seine  Volksbildungsministerin Margot Honecker von den Kirchen nicht hineinreden. Das hatte auch ein Spitzengespräch zwischen Staat und evangelischer Kirche am 6. März 1978 deutlich gemacht. „Hier konnten manche Streitpunkte geklärt werden“, sagt Aribert Rothe. Aber Eriehungsfragen waren tabu.

Das Zeichen der kirchlichen Friedensbewegung in der DDR: „Schwerter zu Pflugscharen“.

Nicht nur die Kirchenleitungen  versuchten die DDR-Mächtigen zum Umdenken zu bewegen. Auch einfache Christen engagierten sich. In Erfurt bespielsweise schrieben Eltern entsprechende Briefe an Margot Honecker. „Irgendwann wurde uns klar: Jetzt hilft nur noch beten“, erinnert sich Ilse Neumeister, damals in der evangelischen Familienarbeit tätig und Mutter von zwei Kindern. So entstand die Idee für die Friedensgebete. Und weil in Erfurt in Sachen Ökumene vieles möglich war, was anderswo nicht ging, wie Ilse Neumeister meint, stellte der Pfarrer der katholischen Lorenzkirche, die mitten im Stadtzentrum liegt, sein Gotteshaus den Betern zur Verfügung. Und so fand – vier Jahre vor dem ersten Friedensgebet in Leipzig – an einem Dezember-Donnerstag 1978 um 17 Uhr das erste Friedensgebet in Erfurt statt. Bis heute ist keines dieser wöchentlichen Friedensgebete ausgefallen.

Auch die Entstehung der Friedensdekade fiel in diese Zeit. Die Anregung, sich an den zehn Tagen vor dem evangelischen Buß- und Bettag mit Fragen des Friedens zu beschäftigen, kam von der ökumenischen Jugendarbeit. Unter dem Motto „Frieden schaffen ohne Waffen“ fand die erste Dekade 1980 statt. Das dazu gehörige Logo „Schwerter zu Pflugscharen“ hatte der sächsische Landesjugendpfarrer Harald Bretschneider als Textillesezeichen drucken lassen (für Textildrucke musste keine Druckgenehmigung eingeholt werden). Und so wie sich „Schwerter zu Pflugscharen“ zum Markenzeichen der kirchlichen Friedensbewegung in der DDR entwickelte, wurde deren wichtigste Veranstaltung die jährliche Friedensdekade, die ursprünglich nur ein- oder zweimal stattfinden sollte.

Veranstalungsmarathon Friedensdekade

„Die Friedensdekade war ein Veranstaltungsmarathon, der seinesgleichen sucht“, erinnert sich Aribert Rothe. Bei der Friedensdekade 1985 in Ost-Berlin gab es beispielsweise 51 Friedensgottesdienste, 37 Vorträge und 26 künstlerische Angebote. „Auch Erfurt war immer ganz vorne mit dabei“, sagt Aribert Rothe. Es gab eine Unmenge an Vorträgen, Ausstellungen, Diskussionen und liturgischen Feiern. Katholische Christen und Pfarrgemeinden beteiligten sich und auch die Freikirchen waren dabei. Dank der Verbindungen des damaligen evangelischen Propstes in Erfurt, Heino Falcke, waren häufig hochkarätige Gäste anwesend – aus den Familien Weizsäcker und Bonhoeffer beispielsweise. Und auch bei manchem Nichtchristen stießen die Verastaltungen seinerzeit auf Interesse.

„Der kirchliche Protestantismus in der DDR war der soziale Träger der Friedensbewegung“, ist Aribert Rothe überzeugt. Was auf evangelischem Boden gewachsen ist, wurde Ende der 80er Jahre von den ökumenischen Partnern aufgegriffen – vor allem bei der Ökumenischen Versammlung in der DDR. Besonders froh ist Aribert Rothe bis heute, dass sich daran auch die katholische Kirche richtig beteiligt hat und nicht nur in einer Art Beobachterrolle dabei war. Und so wurde die kirchliche Friedensarbeit, die in der Folge der Einführung des Wehrunterrichts entstand, zusammen mit anderen Gruppen wie denen, die im Umfeld der Bausoldaten entstanden, zum Totengräber der DDR.

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