Die Friedensgebete und Fürbittgottesdienste in Thüringen

Das älteste ständige Friedensgebet einer ökumenischen Gruppe gibt es seit 1978 jede Woche in der katholischen Lorenzkirche Erfurt. Andere folgten bald, seit 1982 in der evangelischen Stadtkirche Meiningen bis hin zu 1988 in Heiligenstadt. Auch das Friedensgebet in der Leipziger Nikolaikirche gibt es seit Ende November 1982. Ursprünglich eine Antwort auf die Einführung des Wehrkundeunterrichts, kamen andere Anlässe der Militarisierung oder kriegerischer Konflikte in der Welt dazu. Im Laufe der Zeit wurden die Fürbittgottesdienste und Friedensgebete in der evangelischen Kirche zu Foren des öffentlichen Gesprächs. Da Kirchen in der DDR die einzigen öffentlichen Räume waren, in die der SED-Staat nicht unmittelbar eingreifen konnte, äußerten Bürger hier ihre Alltagssorgen, die oft politisch begründet waren. Auch Ausreisewillige hatten nur hier Gelegenheit, ihre Situation öffentlich anzusprechen.

Als sich im Oktober breite Bevölkerungsteile zum politischen Aufbegehren entschlossen, wurden die wöchentlichen Gottesdienste oder Friedensgebete zum Sammlungsort und Kristallisationskern der großen Massendemonstrationen. Mancherorts sammelten sich Hunderte und Tausende, so dass z.B. in Greiz vier Kirchen gleichzeitig Friedensgebete anboten.

Bei den Friedensgebete stellten sich die neuen Oppositionsbewegungen „Neues Forum“, „Demokratischer Aufbruch“, "Frauen für Veränderung" und andere an vielen Orten erstmals öffentlich vor.

Im November 1989 gab es die Friedensgebete auch in fast allen Kleinstädten und vielen Dörfern. In jedem Fall orientierten Wort und Lied auf Gewaltlosigkeit, so dass es eine Friedliche Revolution wurde.

Heidrun Senz (Niederdorla) am 4. Oktober in Weimar:

„Die Herder-Kirche war überfüllt. Vor den weitgeöffneten Fenstern standen wir lauschend in einer Menschenmenge. Die verschiedenen Gruppierungen stellten ihre Programme vor. 'Neues Forum', 'Demokratie jetzt', 'Demokratischer Aufbruch' und all die anderen waren vertreten. Es war faszinierend, wie die nächsten Treffen in Arbeitsgruppen schon organisiert wurden. Der 7. Oktober, der 40. Jahrestag der DDR, stand unmittelbar vor der Tür.“

Pfarrer Klaus Böhme aus Greiz erinnert sich an den 23. Oktober:

„Dann wühlte ich mich durch die Menschentrauben, die sich mit Kerzen vor der Kirche drängten, zur katholischen Kirche hindurch. Unterwegs kamen mir schon wieder andere entgegen, die auch dort keinen Platz gefunden hatten. Die Andacht war [in der katholischen Kirche] noch nicht beendet, als ein Hilferuf aus der Stadtkirche eintraf: ‚Kommen Sie zurück. Wir müssen die Andacht wiederholen.’ So geschah es denn für die, die zwei Stunden vor der Kirche ausgeharrt hatten.“

Dr. Aribert Rothe über die Erfurter Friedensgebete:

„Es waren ergreifende Andachten aus biblischen Lesungen, Lied und Gebet, Meditation und Information, Betroffenheit, Zorn und friedfertigem Gemeinschaftssinn. So wurde der Friedensruf 'Keine Gewalt!' zum harmonischen Grundton des Aufbegehrens. Danach vereinigten sich die kerzenerleuchteten Menschenzüge zum Marsch auf den Domplatz.“

Ilse Neumeister berichtete von einem Friedensgebet der Anfangzeit folgendes:

An einem kalten Februar-Donnerstag fanden sich neben ihr als "Vorbeterin" nur noch zwei weitere ältere Frauen ein. Sie fragte daraufhin, ob das Friedensgebet angesichts dessen ausfallen sollte. Eine der Damen antworte: "In der Bibel steht: wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind, da bin ich mitten unter ihnen." Das Friedesgebet fand statt und ist bis heute nie ausgefallen.


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