Margot Honecker war der Anlass - Das Friedensgebet in Erfurt

Friedensgebet in der Erfurter Lorenzkirche
Friedensgebet in der Nikolaikirche Leipzig

Donnerstag, 04. Dezember 2008

Die Friedensgebete in Leipzig gelten als Ausgangspunkt der politischen Wende in Deutschland, ihre Tradition entstand jedoch etwa 150 Kilometer weiter - in Erfurt. Am 4. Dezember 2008 beging in der Erfurter Lorenzkirche der Ökumenische Friedensgebetskreis sein 30-jähriges Bestehen. Die gewaltlose Form des Protestes gegen das DDR-Regime wurde u.a. drei Jahre später in Leipzig aufgegriffen und leitete die friedliche Revolution im Herbst 1989 ein.

Anlass für die Erfurter Andachten war das rigorose Vorgehen von Margot Honecker, DDR-Ministerin für Volksbildung. Mit eiserner Hand setzte die Frau des DDR-Staats- und Parteichefs Erich Honecker die sozialistische Ideologie an Schulen und in Kindergärten durch. 1978 führte sie an allen Schulen den Wehrkunde-Unterricht ein. Das führte zu Protesten, vor allem von kirchlichen Gruppen.

"Hilflos und ohnmächtig"

"Die Menschen hat das damals sehr erschüttert", erinnert sich Karl Metzner, der als Pfarrer das Erfurter Friedensgebet bis heute begleitet. "Viele Eltern haben deswegen Briefe an Margot Honecker geschrieben, in denen sie gegen die Militarisierung der Schulen protestierten." Geholfen hat es nichts - im Gegenteil. "Die Mütter und Väter sind von der SED gemaßregelt worden", sagt Metzner. Seine Frau Ursula etwa sei zur SED-Bezirksleitung in Erfurt zitiert worden. "Sie wurde vergattert und musste sich für ihren Brief entschuldigen", erzählt der 81-Jährige.

"Wir fühlten uns völlig hilflos und ohnmächtig", beschreibt Ilse Neumeister die Situation. Die heute 76-Jährige hat zwei Kinder und war damals schon in der evangelischen Kirche aktiv. "Irgendwann wurde uns klar: Jetzt hilft nur noch beten." Der damalige Pfarrer der Erfurter Lorenzkirche, Karl Knapp, war es schließlich, der den zunächst etwa acht Müttern am Donnerstag der ersten Adventswoche 1978 die Türen zu seiner Kirche öffnete.

Von da an kamen sie regelmäßig in die Kirche am Erfurter Anger, immer donnerstags um 17.00 Uhr für eine halbe Stunde. "Im Gegensatz zu anderen Friedensgebeten, die von einem Pfarrer geleitet wurden, war es bei uns eine reine Laiengeschichte", erzählt Neumeister. "Unser Motto lautete: Wir hoffen auf das Unmögliche und wollen derweil das Mögliche tun." Die betenden Frauen waren schnell Stadtgespräch. Bald schlossen sich auch Männer an - und irgendwann kamen Jugendliche, Pfarrer, Priester und Pastoren hinzu. Während der Friedensdekaden wurde jeden Tag gebetet, bis Anfang der 90er Jahre sogar rund um die Uhr. 

Ruhiger geworden

"Einer von uns war immer der Vorbeter und für das Friedensgebet verantwortlich", sagt Neumeister. Vorgegeben war das Vaterunser, der Inhalt der Fürbitte war jedem selbst überlassen. "In Leipzig waren sie eher auf politische Opposition aus. Wir haben dagegen nie gegen etwas gebetet." Anstatt gegen das Regime zu wettern, baten die Erfurter Friedensbeter Gott zum Beispiel um "Weisheit für Regierende". "Die haben sie ja dann irgendwie auch erlangt."

Als am 9. Oktober 1989 nach einem Friedensgebet in Leipzig mehrere 10.000 Menschen gegen das SED-Regime auf die Straße gingen, kam es nicht zu dem befürchteten Blutvergießen. Der Einsatzbefehl für rund 8000 bereitstehende Polizisten, Soldaten und Kampftruppen blieb aus. "In Erfurt kamen damals rund 5000 Menschen", erinnert sich Metzner. Sie mussten auf vier Kirchen verteilt werden.

Rund 20 Jahre nach der Wende ist es ruhiger geworden um die Friedensgebete. In Erfurt kommen wöchentlich noch rund 25 Menschen in die Lorenzkirche, die für das Ende der Konflikte in der Welt beten, etwa im Irak oder in Israel.

Die Beweggründe seien dieselben wie damals, sagt Wolfgang Geffe, Friedensbeauftragter der evangelischen Kirchen in Mitteldeutschland. "Die Menschen kommen, um sich aus den gemeinsamen Gebeten Kraft zu holen. Um etwas zu verändern in dieser Welt."

aus: www.n-tv.de/panorama/dossier/30-Jahre-Friedensgebet-in-Erfurt