Abschied von Pfarrer Christian Führer - ein Nachruf

Pfarrer Christian Führer (1943-2014) vor »seiner« Nikolaikirche im Jahr 2008. © Jan Adler

"Der Sonntag" - Evangelische Wochenzeitung in Sachsen, in Kooperation mit "Glaube und Heimat" in Thüringen und Sachsen-Anhalt.
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Stefan Seidel

Die Nachricht hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet: Der frühere Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche, Christian Führer, ist tot. Im Alter von 71 Jahren ist er an den Folgen einer schweren Lungenerkrankung am Morgen des 30. Juni in Leipzig verstorben. Alle großen Nachrichtensendungen verkündeten den Tod des couragierten Pfarrers, dessen Name wie kein zweiter mit der friedlichen Revolution von 1989 verbunden ist. Von den Zeitungen wird er verabschiedet als »Held von 1989« und als »Vater der Wende«. Es zeigt sich: Christian Führer gilt als die Symbolfigur für den Wendeherbst vor 25 Jahren.

Schon zu Lebzeiten wurde ihm mit der Verfilmung von Erich Loests Roman »Nikolaikirche« ein Denkmal gesetzt – unzählige Preisverleihungen folgten, vom Bundesverdienstkreuz bis zum Deutschen Nationalpreis. Dem kleinen Mann mit der Jeansweste und dem Bürstenschnitt kam etwas zu, das anderen Figuren der Geschichte erst Jahre nach ihrem Tod zukam: Verehrung als historische Person. Führer nahm diese Verehrung durchaus nicht uneitel an. Doch vielleicht weniger, um sich selbst in den Vordergrund zu stellen, sondern um auf das erstaunliche Wirken Gottes zu verweisen. »Es ist eine friedliche Revolution aus den Kirchen herausgewachsen«, formulierte er einmal und fügte hinzu: »Wenn je etwas das Wort Wunder verdient hat, dann das.«

Gleichzeit erlag der revolutionären Pfarrer keinen Illusionen angesichts der neuen Zeit. Unermüdlich führte er in den letzten 25 Jahren das Wort gegen soziale Ungerechtigkeiten und gegen die neuen Kriege. Er prägte den Slogan: »Teil zwei der friedlichen Revolution steht noch bevor« und meinte ein neues Wirtschafts- und Finanzsystem jenseits von »hemmungslosen Profitstreben« und »Anstachelung der Gier«.

Den Erfolg dieses zweiten Teils der friedlichen Revolution erlebte er nicht mehr. Seine Plakate von den fortgeführten Montagsdemonstrationen gegen »Hartz IV« oder den Irak-Krieg werden wohl ebenso ins Museum wandern wie sein legendärer Aktenkoffer, auf dem der Aufkleber »Schwerter zu Pflugscharen« prangte. Doch Führer starb nicht als gebrochener Mann. Bis zuletzt mischte er sich ein für eine bessere Gesellschaft – immer erfüllt von der großen Hoffnung, die ihn schon 1989 trug, »dass mehr möglich ist, als möglich ist«.

Wo die Rezepte für Alternativen zu suchen sind, war ihm klar: bei Jesus und dessen »Alternativprogramm« der Seligpreisungen. Er glaubte unbeirrt daran, dass eine friedlichere, humanere, solidarischere Welt möglich ist – auch wenn das vielerorts als naiv belächelt wurde. Von Jesus ließ er sich bewegen, für die an den Rand Gedrängten die Stimme zu erheben. Und an die verändernde Kraft des Gebets zu glauben.

Politik und Glaube waren für Christian Führer zwei Seiten einer Medaille. »Nicht Thron und Altar, sondern Straße und Altar gehören zusammen«, sagte er immer wieder. Doch nie verlor er sich nur im Politischen, im Widerstand gegen Unrecht. Stets sprach er auch zu glaubensfernen Mitstreitern von seiner Zuversicht des Glaubens. Er hieß zwar Führer, begriff sich aber als entschiedener Nachfolger Jesu. Und so sah er auch den Tod nicht als das Ende. Denn er wurde von Jesus überwunden. In einer Predigt sprach Führer voll Bewunderung von seinem fünfjährigen Enkel, der die Auferstehungshoffnung der Christen am einfachsten auf den Punkt gebracht habe: »Wenn ich sterbe, freue ich mich! Denn da komme ich in den Himmel und kann Gott sehen.«


Christian Führer verstorben

Christian Führer 2013
Christian Führer mit seiner im August 2013 verstorbenen Frau Monika (Fotos: M. Sengewald)

Der frühere Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche und Bürgerrechtler Christian Führer ist am 30. Juni 2014 nach schwerer Krankheit gestorben.


Christian Führer ist vor allem im Zusammenhang mit den montäglichen Friedensgebeten in der Leipziger Nikolaikirche bekannt geworden, die Ausgangspunkt der Demonstrationen im Herbst 1989 waren. Auch wenn ihm fälschlicherweise der Beginn der ständigen Friedensgebete zugeschrieben wird, hat er sich große Verdienste darum erworben. Er hat selbst immer wieder auf die tatsächliche Geschichte hingewiesen.

Christian Führer wuchs als Pfarrerskind zusammen mit zwei älteren Schwestern in Langenleuba-Oberhain auf. Er besuchte die Ernst-Abbe-Oberschule in Eisenach. 1961 bis 1966 studierte Führer an der Karl-Marx-Universität Leipzig und wurde 1968 Pfarrer in Lastau und Colditz. 1980 wurde Christian Führer zum Pfarrer an der Nikolaikirche in Leipzig berufen.

Dort beteiligte er sich im Rahmen der Friedensdekade, die 1980 auf Initiative der evangelischen Landesjugendpfarrer in der DDR und der Bundesrepublik entstand, an friedenspolitischen Veranstaltungen.

Christian Führer hat insbesondere seine Verdienste darin, dass er sich in der zweiten Hälfte der 80er Jahre der Ausreiseantragsteller in einer Weise annahm, die damals die Kirche und die Basisgruppen nicht aufbrachten, nicht aufbringen konnten, denn sie wollten die DDR verändern, und jeder der ging, wurde als Verlust empfunden. Er hat ihr verbrieftes und von der DDR völkerrechtlich anerkanntes Anliegen, diesen Staat - aus welchen Gründen auch immer - verlassen zu wollen, uneingeschränkt seelsorgerlich angenommen und damit einen wesentlichen Beitrag geleistet, Eskalationen zu verhindern. Genauso hat er sich später immer wieder für soziale Anliegen und Minderheiten eingesetzt. Als Ende der 80er Jahre der damalige Thüringer Bischof und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirchen in der DDR, Werner Leich, den Satz prägte „Kirche ist für alle da, aber nicht für alles“, ließ er vor der Nikolaikirche Schilder anbringen: „Offen für alle“. SED-Genossen und Stasi-Mitarbeiter hieß er willkommen in seiner Kirche: "Ich habe es immer positiv gesehen, dass die zahlreichen Stasileute Montag für Montag die Seligpreisungen der Bergpredigt hörten." In den wirtschaftlich schwierigen Jahren kümmerte sich um Arbeitslose, erhob seine Stimme gegen die Auswüchse des Kapitals, er stellte sich entschieden gegen Rechtsextremismus. So blieb er der, der er war, ein Christ und Pfarrer, der lebte, wie er es in der Bibel gelernt hatte: „Kommt her alle, die ihr mühselig und beladen seid“.

Dafür hat er Ehre verdient, die ihm in zahlreichen Auszeichnungen zuteil wurde. Wir verlieren mit ihm einen unermüdlichen Streiter für die ungeteilten Menschenrechte.

Die ständigen Friedensgebete jeden Montag 17 Uhr in der Leipziger Nikolaikirche begannen im November 1982 auf Initiative der Jugenden Gemeinde in Leipzig-Paunsdorf um den Jugenddiakon Günther Johannsen. Bereits 1978 begann als ältestes in der DDR das Friedensgebet in der Erfurter Lorenzkirche. Ab 1986 wurden die Leipziger Friedensgebete durch Christoph Wonneberger koordiniert, damals Pfarrer der Lukasgemeinde. Er hatte im Rahmen der Friedensdekade und seiner "Initiativer für einen Sozialen Friedensdienst" (SoFd) bereits 1982 in Dresden Friedensgebete gegen das Wettrüsten in Ost und West angeregt. 1988 kam es zum Eklat, als der Leipziger Superintendent Friedrich Magirius, der bis dahin die Friedensgebete und die Basisgruppen immer unterstützt hatte, mit Billigung des Kirchenvorstandes der Nikolaikirche und Christian Führer die eigenständige Gestaltung der Gebete durch die Basisgruppen auf massiven Druck staatlicher Stellen und der Kirchenleitung in Dresden untersagte. Nach zwei Monaten heftiger Proteste und durch Vermittlung auch von Christian Führer konnte ein Kompromiss erzielt werden. Im Herbst 1989 gehörte Christian Führer zu denen, die das Recht auf Freiheit und die Veränderung der DDR uneingeschränkt einforderten.

Matthias Sengewald


Links:

www.gesellschaft-zeitgeschichte.de/geschichte/friedensgebete/die-ersten-friedensgebete-in-leipzig/

https://de.wikipedia.org/wiki/

Stiftung Friedliche Revolution http://www.stiftung-fr.de/Home.3.0.html