Aus einer Predigt von Walter Schilling in den achtziger Jahren
"Und das heißt, dass meinetwegen in Südafrika ein schwarzer Mensch eigentlich nichts anderes braucht (der will ja überhaupt kein Cadillac oder sonst was) sonder nichts anderes braucht, als das sein Menschsein, seine Würde respektiert wird und das er nicht zum letzten Dreck gemacht wird. Nichts anderes brauchen andere Menschen genauso. Und nichts anderes brauchen wir. Und wenn diese Welt –da steckt die Frage noch irgendwie dahinter: “Was soll ich tun?“ Nee ums tun geht’s erst gar nicht erst mal. Sondern wenn diese Welt leben soll und lebend kann, dann geht es darum dass angefangen wird, dass Menschen das was sie brauchen bekommen. Und das ist mitunter wirklich ganz wenig. Ein Stück Würde und Ehre brauchen sie und ein Stück Musik brauchen sie manchmal . Wirklich!..."
...die ganze Predigt
Aktueller Bericht und ein Videobeitrag aus dem Jahr 2005 über Walter Schilling und seine Arbeit auf der Homepages von MDR-Thüringen. Im Videoportrait geht es um die Veranstaltung "JUNE" Ende der 70er Jahre in Rudolstadt:
www.mdr.de/thueringen/walterschilling100.html
Abschied von Walter im thueringenJournal: www.mdr.de/mediathek/fernsehen/a-z/thringenjournal (dann auf 02.02.2013 - dann Minute 7:10 bis 7:35).
Hintergrund: Protest und Verweigerung: Die andere Jugend der DDR
JUNE 78 in Rudolstadt 31.08.2005, 20:15 Uhr | 04:32 min
hier "die Wunderbaren Jahre" auf youtube - ein Film von Kaktus:
Weitere Beiträge:
Einer mit Mut" - Nachruf des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen auf Walter Schilling
Seelsorger der Unangepassten Ein Nachruf von Landesbischof a.D. Werner Leich in "Glaube und Heimat"
Es geht immer auch anders zu Walter Schillings 80. Geburtstag
taz-Artikel nun auch mit Foto und Kommentar: www.horch-und-guck.info
zur Beisetzung Walter Schillings und zu seinem Wirken: www.horch-und-guck.info/hug/neue-nachrichten/
Der Inspirator - zu Walter Schillings 80. Geburtstag www.bejm-online/geschichte
Am 28. Februar wäre Walter Schilling 83 Jahre alt geworden.
Unvergessen wird nicht nur sein Wirken in Thüringen als "Vater der Offenen Arbeit", sondern auch in Berlin zur Zeit der Friedlichen Revolution bleiben.
Die Beerdigung war am Samstag, um 14.00 Uhr in der bis auf den letzten Platz gefüllten Kirche in Braunsdorf.
Ein persönlicher Nachruf von Ulrich Töpfer, Landesgeschäftsführer des "bundes evangelischer jugend in mitteldeutschland".
Er drückt damit das aus, was viele - auch uns - bewegt.
Da steht er; groß gewachsen mit langen Haaren, in grünem Parka, die Karo in der einen, eine Tasse Kaffee in der anderen Hand und lächelte gütig. Walter Schilling, der Pfarrer von Braunsdorf. Kein Mensch kannte Braunsdorf, bis er dort als Pfarrer ein Rüstzeitheim baute; einen „Fluchtort“ für junge Menschen, die sich nicht anpassen wollten und konnten. Legendär die Kamingespräche an den Abenden über Gott und die Welt - bei Bier und Zigaretten. Die Luft war oft zum Schneiden dick. Braunsdorf, der Ort an dem man leben konnte.
Nun wird er dort zu Grabe getragen.
Eine Ära geht zu ende. Eine Ära, in der er Generationen von Menschen geprägt hat, weit über die Grenzen Braunsdorfs und Thüringen hinaus; Walter, der „Bischof der Kirche von unten“.
Ich gehöre zu diesen Menschen. Wie so viele andere auch; ob Langhaarige, Punks, Christen oder Nichtchristen – allen war er ein Freund.
Walter Schilling sei zum Inbegriff der Hilfe für politisch in Not geratene, misshandelte und gedemütigte junge Menschen geworden, heißt es in der Laudatio bei der Überreichung des Menschenrechtspreises der Stadt Weimar 1995.
Ich gehöre dazu und ich trauere um meinen Freund, Bruder und Wegbegleiter. So viele Erinnerungen strömen auf mich ein, an einen kritischen Geist aber auch liebevollen, verständnisvollen und immer auf der Seite der Entwürdigten stehenden Menschen. So viel hat er mir gegeben. Was wäre ich, was wäre Meiningen ohne sein Engagement.
Als der Druck der Staatssicherheit in Meiningen immer größer wurde, war er da und sagte: Gut, halte ich mal einen Vortrag über die Arbeit der Stasi. Vorbei war es mit Geheimniskrämerei, mit den finsteren Machenschaften, dem Bösen Wirken im Verborgenen. Au, waren die sauer, das konnten sie überhaupt nicht leiden. Und so nahm Walter uns die Angst vor ihnen.
Er nahm kein Blatt vor den Mund, wenn es um die Würde und Mündigkeit „seiner“ jungen Menschen ging. Er stritt mit Funktionären und Kirchenleitung, die Staatssicherheit beobachtete ihn rund um die Uhr, versuchte ihn mit allen Mitteln mürbe zu machen und zum Schweigen zu bringen. Doch er blieb sich treu. Walter setzte Gottes- und Nächstenliebe in konkretes Handeln um und ermutigte viele junge Menschen, ihr Recht auf Selbstbestimmung wahrzunehmen.
Walter war authentisch und streitbar zugleich. So wertvoll in allen Zeiten. Seine Sprache verstand jeder. Er hat dem Volk, der Jugend auf's "Maul geschaut" und kein Blatt vor den Mund genommen. Er hat es immer wieder auf den Punkt gebracht, auch in seiner Predigt vor hunderten Jugendlichen in den achtziger Jahren in der Meininger Stadtkirche: „Sondern wenn diese Welt leben soll und leben kann, dann geht es darum dass angefangen wird, dass Menschen das was sie brauchen bekommen. Und das ist mitunter wirklich ganz wenig. Ein Stück Würde und Ehre brauchen sie und ein Stück Musik brauchen sie manchmal. Wirklich! Und ein Stück aus sich ´raus gehen können und ein Stück leben können und nicht ständig „Scheiße“ sagen müssen, das ihr Menschsein, ihre Würde respektiert wird und das sie nicht zum letzten Dreck gemacht werden. Nein, sondern es fängt genau da an, wo wir uns untereinander und uns selber unsere Würde geben, unsere menschliche Würde. Aber du lieber Himmel, was soll denn bloß passieren, wenn es nur noch Apparate und keine Menschen mehr gibt? Manchmal habe ich Angst drum, dass das so kommt, weil ich genug von meinen Freunden sehe, die die Schnauze zu voll haben und resigniert haben und sagen :“Äääh, es ist sowieso alles arschlos.“ Und dann sage ich:“ Aber bitte schön, damit der Apparat nur noch mehr regieren kann. Und deswegen kommt es darauf an, dass wir hier unter unseren Freunden ob das in Meiningen oder ob das in Gotha, ob das in Weimar, ob das in Jena oder ob das sonst wo ist, ob das in Soweto oder in Manhattan, da kommt es darauf an, dass überhaupt Menschen da sind, die keine Apparate sind. Versteht Ihr mich?“
Verstehen wir ihn? Er fehlt uns mit seinen Fragen danach, wie viel Autonomie und Entwicklungsmöglichkeiten für die Menschen die Strukturen, in denen wir leben zulassen. Sind sie von unten gewachsen oder von oben verordnet? Für Walter Schilling gab es keine Sachzwänge; es gibt den Menschen in seiner Kreativität, Würde und Selbstbestimmtheit. „Denn wir dürfen uns nicht in den Strukturen verlieren.“
Immer war es ein Appell an das Lebendige in uns; das Erinnern an die Wurzeln unseres Handelns. "Was würde Jesus heute dazu sagen", diese Frage durchzog sein ganzes Leben. Und er fand Antworten darauf. Antworten an denen man sich reiben konnte und musste.
Mein Freund Lumo schreibt dazu: „Danke Walter! Du warst einer der wenigen "Kanzelredner" denen man vom ersten Wort bis zum Amen gespannt und gebannt zuhören konnte. Du hast für den Frieden auf der Welt und für den Frieden in den Herzen der Menschen gekämpft. Jetzt hast Du Deinen Frieden gefunden. R.I.P.
Ich verneige mich in tiefer Dankbarkeit vor Walter Schilling, einem ganz großen Menschen. Dank für alles, was er uns gegeben hat und für uns gewesen ist.