Dr. Heino Falcke Foto: Matthias Sengewald

Heino Falcke setzte seit den achtziger Jahren maßgebliche Impulse für den konziliaren Prozess für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Dies betrifft sowohl seine wissenschaftliche Arbeit in zahlreichen Veröffentlichungen als auch sein außergewöhnliches politisches Engagement, das durch die Mitarbeit im Ökumenischen Rat der Kirchen bereits zu DDR-Zeiten einen globalen Horizont in den Blick nahm und unter dem Motto "Global denken - lokal handeln" in der Arbeit von Basisgruppen vor Ort fruchtbar machte. Mit dieser von der Leitung der Evangelischen Kirche in der DDR eher distanziert verfolgten Basisarbeit gehörte Heino Falcke zu denen, die die Wende unmittelbar vorbereiteten.

1972 hatte Falcke Aufsehen mit seiner Rede "Christus befreit - darum Kirche für andere" auf der Synode der evangelischen Kirchen in der DDR in Dresden Aufsehen erregt. Darin forderte er die Kirche auf, sich für gesellschaftliche Veränderungen in der DDR, für politische Freiheit und Mündigkeit der Bürger einzusetzen.

"Als Vordenker der kirchlichen Friedensbewegung hat Heino Falcke weit über die Grenzen der DDR hinaus gewirkt", würdigte Landesbischöfin Ilse Junkermann den Alt-Propst anlässlich seines Geburtstages. "Bereits als junge Theologin in Westdeutschland haben mich seine Reden und Schriften bestärkt, insbesondere sein bedingungsloses Eintreten für Frieden ohne militärische Gewalt und Drohgebärden. An ihm können Christen, ja, alle Menschen sehen, worin die Freiheit eines Christenmenschen besteht. Er hat durch sein Beispiel sehr vielen Christen in Ost und West geholfen, sich mutig und ohne Zaudern für gerechte Verhältnisse in der Welt einzusetzen".

Heino Falcke wurde am 12. Mai 1929 in Riesenburg in Westpreußen geboren. Er studierte ab 1946 in Berlin und ab 1948 in Göttingen Theologie. In Basel war er Hilfskraft des einflussreichen Theologen Karl Barth. 1952 entschied Falcke sich dazu, als Pfarrer in die DDR zu gehen. Seine Begründung lautete: "Pfarrer und Theologen der Bekennenden Kirche im 'Dritten Reich' hatten mich geprägt, und ich war der Überzeugung, die Theologie, die ich bei ihnen gelernt hatte, sei in den Kirchen, die unter kommunistischer Herrschaft und von ihr bedrängt waren, besser am Platz." Nach zwei Jahren Tätigkeit als Studieninspektor am Predigerseminar in Wittenberg wurde Falcke Assistent am Lehrstuhl für Systematische Theologie der Theologischen Fakultät Rostock. Ein mit Karl Barth vereinbartes Dissertationsthema "Die Gesellschaftslehre Friedrich Schleiermachers" wurde in Rostock weitergeführt und 1958 mit der Promotion zum Dr. theol. abgeschlossen. 1961 erfolgte die Habilitation. Um Loyalitätskonflikte als staatlich angestellter Professor in der DDR zu vermeiden, ging er ins Pfarramt. 1973 berief ihn seine Kirche zum Propst des Sprengels Erfurt, den er bis zu seinem Ruhestand 1994 leitete.

Allen Angeboten zum Trotz hat sich Falcke nach der Wende einen Wechsel in die Politik versagt - ähnlich wie zuvor schon den wiederholten Bitten nach Übernahme eines Bischofsamtes. Und auch nach seinem Ruhestand 1994 ist er sich und seinem Engagement treu geblieben - sei es als einer der Initiatoren der "Erfurter Erklärung", die angesichts der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich eine grundlegende Erneuerung der Politik forderte, sei es bei den großen Demonstrationen gegen den Irak-Krieg oder beim Disput über gesellschaftliche Ursachen für die Bluttat am Erfurter Gutenberg-Gymnasium.

12.05.2014 — Pfarrer Ricklef Münnich
www.kirchenkreis-erfurt.de


Am 14. Mai fand anlässlich des 85. Geburtstages von Dr. Heino Falcke ein Symposium im Erfurter Collegium maius (Landeskirchenamt) mit zahlreichen Gästen statt.

Mann des Wortes und Vordenker – der ostdeutsche Theologe Heino Falcke wurde 85 Jahre

Falken nisten gerne auf Kirchtürmen. Sie haben schon aufgrund der Augenstellung einen extrem weiten Rundblick; ihre Anatomie ist auf den aktiven Flug hin ausgerichtet. Vielleicht gilt dies auch für Heino Falcke, der vielen Christen in der DDR zum Ermutiger wurde.

Heino Falcke erinnert sich: »Als uns 1980 Roger Schutz aus Taizé besuchte, kam es auf dem Domberg in Erfurt zu folgender Szene: Wir standen als Leiter des Gottesdienstes oben vor dem Dom, da löste sich aus der Gemeinde zu Füßen der Domstufen ein kleiner Junge und stieg ganz alleine vor allen die Treppen hinauf. Wir hielten den Atem an. Das war ein wunderbares Symbol für uns Christen in der DDR – sich zu wagen, alleine aus der Menge heraus seinen Weg zu gehen.«

Nicht zufällig ist dem ökumenisch weitblickenden Heino Falcke die Spiritualität von Taizé nahe. Und nicht zufällig ist das Kind auf der Treppe auch ein gutes Bild für Falckes Lebensleistung: die Ermutigung zu eigenen Schritten. Der Mann mit der prägnanten viereckigen Brille und dem weißen Haarkranz wird am 12. Mai 85 Jahre alt. »Ich bin ein Mann des Wortes«, meint Falcke von sich, »nicht so sehr begabt in Aktionen.« Seine Worte boten vielen jedoch Auftrieb für den aktiven Flug. »Prediger des Protestes« wurde der ostdeutsche Theologe genannt, »Mahner«, »Vordenker« der friedlichen Revolution.

Ja, Heino Falcke besitzt die Gabe des messerscharfen Wortes, doch seine Stimme ist leise und reibt angenehm, wenn er berichtet, was ihn prägte. Im ehemaligen Westpreußen geboren und in Königsberg aufgewachsen, erlebte er in seinem bildungsbürgerlichen Elternhaus Nationalgefühl und preußisches Soldatenethos und als Flakhelfer die Luftangriffe der britischen Flieger auf die Stadt. Im Januar 1945 floh die Familie über die Ostsee. In einer »Jungen Gemeinde« wurde Falcke, der sich bis dahin als distanzierten Christen beschreibt, durch einen Jugendpfarrer für den Glauben begeistert: »Er war stark durch Bonhoeffer geprägt; seine Art Christ zu sein, das war authentisch, aus einem Guss.«

Darauf folgte das Theologiestudium in Berlin, Göttingen und in Basel bei Karl Barth, dem großen Theologen der Bekennenden Kirche, Promotion und Habilitation in Rostock, später eine Pfarrstelle in Wegeleben am Harz. Von 1973 bis 1994 war Falcke Propst der Kirchenprovinz Sachsen in Erfurt. Diese Stelle als »kirchenleitender Libero« sei ihm auf den Leib geschneidert, »Propst Falcke« wurde zur Instanz.

Grenzübergreifende Erfahrungen prädestinieren für Grenzen übergreifendes Denken. Falckes Rede »Christus befreit – darum Kirche für andere«, gehalten 1972 vor der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, rief die Christen zum Engagement im Hier und Jetzt auf, für eine verbesserliche Kirche in einem »verbesserlichen Sozialismus«.

Die Rede wurde von Kirchenleuten kontrovers diskutiert, der Staat reagierte wie üblich gekränkt. Falcke aber wurde zum wichtigen Sprecher der Friedensbewegung in der DDR, zu einer der treibenden Kräfte des ökumenischen »Konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung«. Der Erfurter Propst beflügelte die sich bildenden Friedens- und Umweltgruppen. Freiheit, Frieden, Umwelt, Ökumene und der Ruf nach christlich-authentischem Leben blieben Falckes Lebensthemen. Als 2011 Papst Benedikt XVI. in die Erfurter Lutherstätte Augustinerkloster einzog, da kamen dem evangelischen Theologen die Tränen. Der Akt selbst erfüllte für einen Moment die ökumenischen Hoffnungen; was der Papst dann zur Ökumene sagte, fand Falcke enttäuschend.

Die evangelische Kirche sieht er heute als eine unter vielen Stimmen der Zivilgesellschaft. Hier sollte sie ihre Positionen stärker profiliert ins Gespräch einbringen und sich nicht als Moderator oder Konsens-Sucher gebärden. »Wir stehen vor notwendigen, tiefgreifenden Korrekturen im Kapitalismus; das ist eine enorme Herausforderung für die Kirchen unterhalb des Politischen«, sagt Falcke. »Wir sollten gegen den Mainstream hoffen – und nicht auf die Weltrevolution. Das geht nur, indem wir als Gemeinde exemplarisch leben und die Korrekturen im Selbstverständnis und in der Lebensweise der Menschen ansetzen lassen und bewirken.«

»Ich möchte noch etwas präzisieren«, sagt Heino Falcke später am Telefon. »zur Frage nach dem verbesserlichen Kapitalismus. Ich möchte unterscheiden zwischen Kapitalismus und Markt. Der Kapitalismus, mit dem Ziel der Kapitalvermehrung, ist überhaupt nicht verbesserlich, aber der Markt mit freiem Wettbewerb ist verbesserlich. Er bedarf des politischen Rahmens, der ihn in den Dienst des Gemeinwohls zwingt.« Eigene Schritte sind gefragt.

Rechts neben Falckes Hauseingang steht ein relativ neues, rotes Graffiti auf dem Putz: »Wir bleiben alle!«. Jawohl. Heino Falcke lehrt uns Zähigkeit, Genauigkeit und Geduld, die zum Wandel nötig sind. Wir werden sie brauchen.

Jürgen Reifarth
13. Mai 2014
www.mitteldeutsche-kirchenzeitungen.de