Warum kam es zur Gründung dieser Interessengemeinschaft Umweltschutz/Umweltgestaltung?

Der Kulturbund lud zum 24.1.1984 öffentlich zu einer Gründungsveranstaltung einer Gruppe "Sozialistische Landeskultur" ein, die sich zukünftig auch um Umweltschutzbelange (Originalton: "Sozialistische Umweltgestaltung") kümmern solle. Über 100 interessierte ErfurterInnen nahmen an dieser Veranstaltung in den überfüllten Räumen des Kulturbundes in der Walkmühlstrasse 13 teil. 

Nach den drei Vorträgen und der Bekanntgabe des Leitungskollektivs (Axel Widmer, Vorsitzender), Herr Oxford (Vorsitzender des Kreisvorstandes der GNU), Reinhard Krause (Bezirksnaturschutzbeauftragter und IM 'Alperstedt'), Herr Grosse (Kreiswegemeister), Herr Blumöhr, u.a. sollte die Veranstaltung eigentlich beendet werden.

Es wurde noch eine Liste herumgereicht, in die sich Interessierte eintragen sollten. Diese Liste verschwand spurlos. Gezielte Nachfragen Interessierter, wie es nun weiter gehen solle und ob es ein Arbeitsprogramm gäbe, brachten die Veranstalter in Bedrängnis und die Stimmung heizte sich auf.

Einige engagierte Erfurter Bürgerinnen und Bürger des Zuhörerkreises nutzten die Gunst der Stunde und unterbreiteten den Vorschlag, selbst einen Arbeitsplan und eine Geschäftsordnung für die Umweltgruppe zu erarbeiten, da seitens des Kulturbundes nichts vorgelegt werden konnte. 

Diese Gruppe arbeitete in kürzester Zeit einen „Rahmenarbeitsplan" aus, der die Geschäftsordnung der Umweltgruppe für viele Jahre darstellte, gaben sich einen anderen Namen und führten demokratische Wahlen des Leitungsgremiums durch, nach dem das eingesetzte Leitungskollektiv geschlossen zurücktrat und sich nicht weiter in der Umweltgruppe engagierte.

Eigentlich war die Gründung der Umweltgruppe von Kulturbund und der Gesellschaft für Natur und Umwelt (GNU) gewollt, um die "Massenbasis" der Kulturbundarbeit zu verbreitern und interessierten Bürgern ein Mitspracherecht zu ermöglichen. Vielleicht auch, um sie von sich formierenden kirchlichen Gruppen fernzuhalten und sie dadurch besser steuern zu können. Die Zusammenarbeit zwischen Kulturbund und Umweltgruppe war von Anfang an katastrophal.

Die Leitungsgremien des Kulturbundes waren völlig überfordert: Der eingesetzte Vorsitzende der Umweltgruppe (Axel Widmer) gab nach 3 Wochen auf, der Vorsitzende des Kreisvorstandes der GNU (Herr Oxford) gab nach 12 Wochen auf, der 1. Sekretär der Kreisleitung des Kulturbundes gibt auf. Panische Reaktionen des Stellvertretenden 1. Sekretärs (Herr Herzog): Raumverbot für die Veranstaltungen der Umweltgruppe, eigenmächtige Absage von Referenten, Einschüchterung.

Warum kam es zur Überwachung?

  • Verdacht auf "Politische Untergrundtätigkeit (PUT)" und Bildung oppositioneller Gruppen, Diskreditierung staatlicher Umweltschutzpolitik und "Politisch-Ideologische Diversion (PID)"
  • Kirchliche Ökologie- und Friedensgruppen in Erfurt, Jena und in Eisenach werden durch das MfS beobachtet
  • Illegale Plakatüberschriften in Erfurt "Wählt die Grünen" (1983) heizen den Überwachungsapparat der Stasi an.
  • Mitglieder der kirchlichen Gruppe "Offene Arbeit" in Erfurt treten aktiv bereits in der Gründungsveranstaltung der Umweltgruppe auf und arbeiten an dem "Rahmenarbeitsplan" entscheidend mit.

Begründung der Überwachung der Umweltgruppe in den Akten der Stasi:
 siehe Anlagen 1 und 2

Auf welcher rechtlichen Grundlage erfolgte die Überwachung?

  • Eigentlich keiner
  • Dienstanweisung 1/84 des Leiters der Erfurter Staatssicherheit, BV Erfurt, Josef Schwarz: Wie erkennt man "Andersdenkende", "feindlich-negative Personen", PUT, PID?
    Unspezifische, menschenverachtende Beschreibungen legen es schließlich ins Ermessen eines einzelnen MfS-Mitarbeiters, unter welchen Aspekten Personen "bearbeitet" werden.
  • In den Memoiren von J. Schwarz wird die menschenverachtende Überwachung als unnötiger Übereifer junger Mitarbeiter bagatellisiert. "Operative Vorgänge" (OV) und "Operative Personenkontrollen" (OPK) lagen aber in den Händen erfahrener MfS-Offiziere.

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Einflussnahme des MfS: Ziele

  • "Wer ist wer?" Aufklärung der Personen, die sich in der Umweltgruppe engagierten. Wie schwierig sich diese Personenaufklärung gestaltete, zeigt auch die Liste von Paßfotos, Anlage 9, bei der einigen Personen falsche Namen zugeordnet wurden.
  • Aufklärung der Ziele der Umweltgruppe; vorbeugende Verhinderungen von provokanten Äußerungen und Aktionen
  • Verbindung zu kirchlichen und anderen Umweltgruppen aufklären
  • "Schlüssel-Inoffizielle Mitarbeiter" der Stasi (IM in Leitungsfunktionen von Wirtschaft, Partei oder Gesellschaft) in die Umweltgruppe einschleusen
  • "Disziplinierung", Massregelung von engagierten Umweltschützern durch Einschüchterung, Drohung bei Gesprächen, die Vertreter des Kulturbundes, des Staates, der SED oder aber auch dienstliche Vorgesetzte zu führen hatten.
  • "Diskriminierung", "Diskreditierung" und "Zersetzung" der Persönlichkeit der engagierten Umweltschützer; durch die vom MfS organisierte Misserfolgserlebnisse im Beruf oder in der privaten Sphäre sollte das Selbstbewusstsein der engagierten Umweltschützer zerstört werden oder die Energie auf die Lösung von Problemen des eigenen Lebens gelenkt werden; das MfS organisierte kollektive Misstrauensvoten durch die jeweiligen Arbeitskollektive, um das Gefühl der Isolation und der fehlenden Bestätigung zu generieren.
  • Schwächung der Geschlossenheit der Umweltgruppe durch die Verbreitung von Gerüchten der Unterwanderung der Gruppe durch das MfS und Verleumdung der Leitungsmitglieder.
  • Nachweis strafrechtlicher Sachverhalte
  • Verhinderung von Erfolgen und Verhinderung der „Massenwirksamkeit"
  • "Zerschlagung" der Umweltgruppe

Siehe die beispielhaften Maßnahmepläne in den Anlagen 3, 4 und 9

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Einflussnahme des MfS: Wie?

  • "Konzeption zur politisch-operativen Bearbeitung von Erscheinungsformen eines Missbrauchs umweltpolitischer Maßnahmen des Kulturbundes der Stadt Erfurt zur Formierung von politisch oppositionellen Personenkreisen", BV Erfurt 11.4.1984: 
    - Ausgrenzung Andersdenkender 
    - Stärkung der Kulturbund-Funktionäre 
    - Durchsetzung des Primat von SED und Staat
  • Einleitung von operativen Personenkontrollen (OPK) und operative Vorgängen (OV) gegen Personen des Leitungsteams der Umweltgruppe: OV „Gewässer" OV „Maske" OPK „Kleeblatt" OPK „Analyse" OPK „Kruzifix" OPK „Taube"
  • Anwerbung von Schlüssel-IM (Das sind IM, die auf Grund ihrer beruflichen Funktionen mit Belangen des Umweltschutzes zu tun hatten und die demzufolge potenzielle Ansprechpartner der Umweltgruppe waren.)
  • Über 20 IM für Umweltgruppe
  • Koordinierungsgespräche einer gegründeten Sondergruppe des MfS bestehend aus Vertretern der Referate XX/A, XX/1, XX/5, XX/7 und der KD Erfurt (monatlich)
  • Gewinnung „zuverlässiger" Mitarbeiter in der Umweltgruppe
  • Psychischer Druck auf IG Mitglieder und Anwerbungsversuche von Umweltaktivisten zu Spitzeldiensten für die Stasi
  • Berufliche Umsetzungen (Arbeitsstellenwechsel) - veranlaßt durch das MfS
  • Einberufung zum Reservistendienst in die Nationale Volksarmee
  • Ständig angesetzte Neuwahlen der IG-Leitung, um die demokratisch gewählte Leitung der Umweltgruppe zu verunsichern.
  • Diskreditierung von Mitgliedern der Umweltgruppe als IM (inoffizielle Mitarbeiter bzw. Stasispitzel) durch IM Schubert, den das MfS beauftragte die kirchliche Umweltgruppe "Offene Arbeit" zu spalten und Zwietracht mit der Kulturbundgruppe zu säen.
  • Diskreditierung auch im privaten Bereich (wie z. B. berufliche Herabwürdigung der Leistung der führenden IG Mitglieder, Verbreitung von Gerüchten über Untreue des Partners, etc.)

Siehe Zwischenbericht des MfS zu OV "Gewässer"  Anlage 5

  • Etablierung von IM in den Einrichtungen, die mit den Umweltschützern potenziell zusammenarbeiten könnten. Erstaunlicher Weise ist kein einziger IM in den Strukturen der SED etabliert wurden. Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass die SED die Führung der Überwachung inne hatte. Deswegen und wegen interner Regularien gab es innerhalb der SED-Struktur keine IM. Das war auch nicht nötig.