Telegramm des Erfurter Chefs der Staatssicherheit am 4. 12. 1989

Telegramm des Erfurter Chefs der Staatssicherheit, Generalmajor Schwarz, an den Leiter des <abbr title="Amt für Nationale Sicherheit">AfNS</abbr>, Generalleutnant Schwanitz "über die gewaltsame Erzwingung des Zutritts oppositioneller Kräfte zum Bezirksamt für nationale Sicherheit Erfurt"

Die Besetzung von Kreisdienststellen und Bezirksverwaltungen beginnt am 4. Dezember 1989 in Erfurt. Am Abend berichtet deren Leiter, Josef Schwarz, darüber an seine Zentrale in Berlin mit einem Telegramm, dem der Schreck und die Empörung über dieses aus seiner Sicht ungeheuerliche Ereignis immer noch anzumerken ist. Er übertreibt zudem heftig, denn tatsächlich ist es zu keiner Gewaltanwendung seitens der Demonstranten gekommen.

Auch wenn die "Stasi" über vieles informiert war, so arbeitete sie auch nicht fehlerfrei: Bei der im Text genannten Frau Schön handelt es sich um 2 Personen:
Dr. Kerstin Schön verschaffte sich gemeinsam mit mehreren Besetzern durch die hinten gelegenen Zufahrt Zutritt in die Bezirksverwaltung, davor war Angelika Schön mit Barbara Weisshuhn (jetzt Sengewald) beim Bezirksstaatsanwalt gewesen und sie hatten ihn aufgefordert, mit den Besetzern die Vernichtung der Akten zu verhindern.

Das Fernschreiben endet mit dem bemerkenswerten Satz: "Durch die Besetzung der Ein- und Ausgänge des Diestobjektes ist das Bezirksamt handlungsunfähig."

Nachweis / Quelle: BStU, MfS, SDM 2289, Bl. 228 - 231

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Transskription des Fernschreibens:

 

OVD MfSV

 

CFS 05

LUFT

Amt für nationale Sicherheit, Generalleutnant schwanitz

Information

über die gewaltsame Erzwingung des Zutritts oppositioneller Kräfte zum Bezirksamt für Nationale Sicherheit Erfurt

Seit ca 10.00 Uhr wurden seitens Erfurter Bürger die gesamten drei Zugänge zum Bezirksamt Erfurt blockiert. Maßgeblich beteiligt war daran ein Kranwagen der Erfurter Verkehrsbetriebe, der die Ein- und Ausfahrt des Hauptobjektes unmöglich machte.

IN kürzester Zeit haben sich ca 500 Personen an den drei Eingängen gesammelt. Durch die an der Blockade beteiligten oppositioneller Kräfte wurden alle Mitarbeiter, die die Absicht hatten das Haus zu betreten, kontrolliert, einschließlich der mitgeführten Taschen sowie der PKW:

Da die Gefahr einer weiteren Eskalation bestand, entschied der Leiter des Bezirksamtes, eine Abordnung von 10 Personen zu empfangen, um über das Anliegen dieser Kräfte informiert zu werden und beruhigend auf diese Einfluß zu nehmen. Während diese Gespräches im Konferenzzimmer des Leiters des Amtes verschafften sich weitere Personen unter Führung einer Frau Dr. Schön, Kerstin, die sich als Sprecherin einer unabhängigen Untersuchungsausschusses ausgab, gewaltsam Zugang zum Bezirksamt und begaben sich ebenfalls in das Konferenzzimmer.

Die Frau Schön hatte zuvor den Staatsanwalt des Bezirkes über ihre Absicht, Archivmaterialien und andere Unterlagen im Amt für Nationale Sicherheit vor Vernichtung zu bewahren, in Kenntnis gesetzt.

Die Hauptforderungen der in das Bezirksamt eingedrungenen Personen bezogen sich insbesondere auf die Einsichtnahme in die Archive sowie angeblich vorhandene Unterlagen zu konkreten Personen, die sich zum Teil unter den Anwesenden befanden, die Einsichtnahme in vorhandene Speicher sowie die Inaugenscheinnahme der Verkollerungsanlage und der Haftanstalt.

Der zwischenzeitlich herbeigerufene Leiter der Abteilung röm. 1A des Staatsanwaltes des Bezirkes Erfurt, Genosse Rudat, sowie sein beigeordneter Staatsanwalt, Genosse Ilgen, erklärten sich nicht zuständig und kompetent für die Klärung der aufgeworfenen Fragen. Daraufhin wurden der Militärstaatsanwalt des Bezirksgrenzkommandos, Osl Weißmantel sowie der Militärstaatsanwalt der 4. Matthias Sengewald, Osl Lippol in das Amt für Nationale Sicherheit beordert.

Im Beisein der erwähnten Staatsanwälte sowie von Journalisten der „Neuen Erfurter Zeitung“ wurde aufgrund der massiven Forderungen eine Objektbegehung realisiert.

Dabei ist die Besichtigung folgender Räumlichkeiten besonders relevant:

-          Datenstelle der AKG

-          Archiv der Abt. röm 12

-          die Verkollerungsanlage

-         

(mit Hand darüber geschrieben:)

Bitte Kenntnisnahme

Unterschiedliche Weisungen

bei Schusswaffengebrauch … Konferenz v. 7.12.89

… 7.12.89

Eine geforderte Abfragung der ZPD3, die Einsichtnahme in konkrete operative Unterlagen, konnten durch eingeleitete Maßnahmen verhindert werden.

Fragen zur konkreten Personalstärke des Amtes sowie zur detaillierten Struktur wurden nicht beantwortet.

Es konnte nicht verhindert werden, das Papiersäcke, die zur Verkollerung vorgesehen waren, durch die Vertreter des sogenannten Bürgerkomitees eingesehen wurden. Dabei handelt es sich unter anderen auch um Materialien der Abt. –M-

Während des gesamten Rundganges wurden durch die Anwesenden Journalisten Fotoaufnahmen getätigt. Im Gebäude des Bezirksamtes befanden sich insgesamt ca 150 Personen.

(mit Hand darüber geschrieben:)

richtig! Z.B. Schlüsselstreifen o.ä.

Erst nach längerer Diskussion waren die in das Bezirksamt eingedrungenen Kräfte damit einverstanden, daß die anwesenden Staatsanwälte die betreffenden Räumlichkeiten und Panzerschränke versiegelten und sie das Bezirksamt wieder verlassen.

Da auch den Maßnahmen der Staatsanwälte großes Mißtrauen entgegengebracht wurde, bestand man drauf, an neuralgischen Punkten innerhalb des Bezirksamtes sogenannte Bürgerwachen einzusetzen.

Dabei handelt es sich um folgende Punkte im Objekt des Bezirksamtes:

1.       Südeingang

2.       Haupteingang

3.       Nordeingang

4.       Finanzen/Datenstelle AKG

5.       Tiefkeller / Küche

6.       Archiv röm 12

Seitens dieses sogenannten Untersuchungsausschusses besteht die Absicht, am Dienstag, dem 5. 12.89 um 11.00 Uhr ein erneutes Gespräch mit dem Leiter des Bezirksamtes zu führen.

ähnliche Aktivitäten oppositioneller Kräfte (gab) es in den Objekten der Kreisämter Eisenach, Arnstadt und des Kreisamtes Erfurt.

Durch die Besetzung der Ein- und Ausgänge des Dienstobjektes ist das Bezirksamt handlungsunfähig.

 

BAFNS Erfurt

Schwarz

Generalmajor

CFS 05 – Luft . des BA

 

(mit Hand darunter geschrieben:)

22.55 Suhl 2000

Gespräch mit 10 Mann Kompromiß

wollen Räume besichtigen

Militante Pers.

streben wieder Kompromiß an

auch 2 v. ADN