Stasi-Besetzungen in Thüringen

Mit der Besetzung der Bezirsverwaltung der Stasi in Erfurt am Morgen des 4. 12. 1989 wird eine Welle ausgelöst die bewirkt, dass noch am selben und in den nächsten zwei Tagen die meisten Bezirks- und Kreisverwaltungen von den Bürgern besetzt werden. Das inzwischen in "Amt für Nationale Sicherheit" (AfNS) Ministerium hatte aber bereits die Auflösung der Kreisdiensstellen beschlossen, es war bereits damit begonnen worden, die in dort lagernden Akten zu vernichten. Im Bezirk Erfurt wurden die noch vorhandenen Akten und teilweise auch Waffen in die Bezirksverwaltung gebracht und in der nicht mehr belegten MfS-U-Haft eingelagert.

(Zusammenstellung Dr. Andrea Herz,  LStU Thüringen, Ergänzungen GfZ)

ERFURT

(Bezirksverwaltung) 4. Dezember 1989 (ausführliche Darstellung)

Am Morgen verabreden Mitglieder der "Frauen für Veränderung" auf Initiative von Kerstin Schön, sich vorm Eingang des Stasi-Bezirksamtes zu versammeln, um die am Rauch erkennbare Aktenvernichtung zu stoppen. Unabhängig davon kommt eine zweite Gruppe um Angelika Schön mit Studierenden der Evangelischen Predigerschule, des katholischen Priesterseminars und weiteren dazu. Etwa zeitgleich verbreiteten sich die Flugblatter des Neuen Forums, die vor Finanztransaktionen und Aktenvernichtung warnten. Sie informieren weitere Personen, die Nachricht verbreitet sich in der Stadt. Die am morgen tagende Stadtverordnetenversammlung sowie Staatsanwälte werden aufgefordert, gegen die Aktenvernichtung einzuschreiten, später kommt ein Militärstaatsanwalt. Gegen 10 Uhr wird eine erste Gruppe eingelassen, auf Verlangen der Stasi benennt sie Almth Falcke als ihre Sprecherin. Weitere Gruppen der im Tagesverlauf wachsenden Menschenmenge gingen durchs Objekt, Aktenräume wurden versiegelt, Forderungen gegenüber Stasi-Offizieren ausgesprochen, die Computerzentrale gesichert. Das Objekt wird durch eine Bürgerwache besetzt.

4./5. Dezember

Bürgerrechtler konzipieren einen Kontrollausschuss. Sie schaffen eine Bürgerwache, ein Bürgerkomitee und Untersuchungs-Ausschüsse, um Stasi-Auflösung und Aktensicherung voranzutreiben, obwohl – mit Hilfe des aus Berlin gesandten Regierungsbeauftragten - die Stasi-Leute Zugang zum Objekt behalten.

Dezember - 6. Januar

Bürgerrechtler setzten sich täglich mit Täuschungsversuchen von Stasi-Leuten und Regierungskommission auseinander, die versuchen, Akten zu vernichten und neue Geheimdienststrukturen zu etablieren.

29. Januar 1990

Die Stasi-Auflöser zerstörten die Stasi-Telefon-Abhöranlage in einem symbolischen Akt.

Marz 1990

Mitglieder der Bürgerwache treten in Hungerstreik, um ihrer Forderung nach Überprüfung neu gewählter Abgeordneter Nachdruck zu verleihen. Diese Forderung setzt sich erst schwierig, dann langfristig durch.

2004 erscheint eine Broschüre, die die Vorgänge vor, während und nach der Besetzung detailliert schildert, 2010 erscheint ein Ergänzungsband.

SUHL

(Bezirksverwaltung) 4. Dezember 1989

Abends werden Bürgerrechtler vom Stasi-Bezirksamt abgewiesen und informieren die gleichzeitig tagende Bürgerversammlung, aus der heraus sich 4-5000 Bürger zum Stasi-Objekt begeben und Einlass fordern. Ein Stasimann wirft eine Tränengasgranate in die Menge, erst aufgrund eines Tumults und des eintreffenden Staatsanwalts lässt der Stasi-Chef einzelne Bürger ein. Dienst- und Aktenraume werden versiegelt, ein Protokoll erstellt und die Bildung einer Bürgerkommission beschlossen. Bürger bewachen ab dem Folgetag das Objekt.

6. Dezember

Bürgerrechtler schaffen die "Zeitweilige Kommission des Bezirkstages Suhl zur Untersuchung von Amtsmissbrauch und Korruption" und darin auch das für Stasi-Auflösung zuständige "Aktiv Staatssicherheit".

Dezember/Januar

Auch hier liefern Stasi-Leute und Regierungsbeauftragte den Bürgern ein Katz-und-Maus-Spiel, vernichten weitere Akten, hoffen auf eine Wiederbelebung als "Verfassungsschutz", zu dem es aber langfristig nicht kommt.

Dezember-März

Die Mitglieder des Aktivs Staatssicherheit befassen sich neben der Stasi-Auflösung sofort intensiv mit der politischen Funktion der Stasi und ihrer Machtverflechtung mit der regierenden SED, berichten darüber öffentlich und vorm Runden Tisch. Bis 1. Mrz erstellen sie dazu die erste und sehr informative Publikation mit dem Titel: "Genossen! Glaubt´s mich doch! Ich liebe Euch alle! .

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JENA

4. 12. – Menschenansammlung vor der Kreisdienststelle (KD), Bürgervertreter betreten Objekt (später auch Zeiss-Dienststelle), Staatsanwalt versiegelt Raume, Bürger/Polizei bewachen Objekt

5. 12. 5000 protestierende Burger stehen vorm Objekt, Bürgerkomitee organisiert Abtransporte zum Polizeiamt

RUDOLSTADT

4. 12. Bürger versammeln sich vor der KD, Vertreter des Neuen Forum betreten KD

SAALFELD

4. 12. etwa 21 Uhr versammeln sich 80 Bürger vor KD, Bürgervertreter betreten noch nachts das Objekt, Staatsanwalt versiegelt Aktenschränke, Hinweise auf vernichtete Unterlagen gefunden

9.12. Abtransport von Waffen und Aktenresten

NORDHAUSEN

4. 12. 143 Bürgerrechtler betreten KD, holen Staatsanwalt und sehen im Keller verbrennende Akten in zwei Heizkesseln; das wird gestoppt

5.12. - die Aktenreste werden unter Kontrolle nach Erfurt gebracht

APOLDA

4.12. - nachts besetzten Bürger und Mitglieder des Neuen Forums gleichzeitig die KD und die SED-Kreisleitung und veranlassten den Staatsanwalt zum Versiegeln beider Archive

6.12. - Polizei übernahm Transport von Akten/Waffen nach Erfurt

EISENACH

4. 12. Bürgerkomitee betritt die KD, Staatsanwalt versiegelt Räume

5. 12. Bürgerwache gegen Aktenvernichtung

8. 12. - Abtransport und Schließung

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GOTHA

4. 12. spontane Demo vor der KD, vier Bürger betreten Objekt, Bürgerkomitee bleibt über Nacht

5. 12. 5000 protestierende Bürger stehen vorm Objekt, Bürgerkomitee organisiert Abtransport von Waffen und Stasi-Personal zum Polizeiamt

MÜHLHAUSEN

5. 12. Gespräch von Bürgervertretern mit dem Chef der Kreisdienststelle

7. 12. Burger unterstutzen und kontrollieren Polizei bei Abtransport von Waffen und Aktenresten

LOBENSTEIN

5. 12. Bürger vor KD, nach Gespräch mit KD-Leiter versiegelt Staatsanwalt Raume im Beisein von Bürgern, abends stellen viele Demonstranten Kerzen vor die Tür und rufen Stasi raus

12. 12. Bürgerinitiative kontrolliert Auflösung

MEININGEN

5. 12. Bürgervertreter betreten KD, finden Waffen, aber kaum noch Akten

7.12. Versiegelung der Räume

12.12. Bürgervertreter beaufsichtigen Abtransport von Waffen und Aktenresten nach Suhl

WEIMAR

5. 12. tags 80 Bürger versammeln sich vor KD, Vertreter betreten Objekt, Raume werden versiegelt; abends Demo-Zug, Proteste und Volkszorn vor der KD, Gruppen besichtigen Objekt

6. 12. Zugang versiegelt, Polizei bewacht Objekt

8. 12. Neues Forum begleitet Transport von Waffen u. Akten

PÖSSNECK

5. 12. Bürger demonstrieren vor KD, Staatsanwalt versiegelt Aktenschränke

HILDBURGHAUSEN

5. 12. Bürgervertreter betreten die KD, Staatsanwalt versiegelt die Räume

7.12. Bürgervertreter und Polizei übernehmen parallel die Bewachung, Stasi-Mitarbeiter haben Hausverbot

12.12. Abtransporte unter Aufsicht von Mitgliedern des Neuen Forums

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GERA

(Bezirksverwaltung) 6. Dezember

30 Vertreter von Bürgergruppen verschaffen sich Einlass in die Bezirksstelle Gera des Amtes für Nationale Sicherheit, "versiegeln" das Archiv und verlassen das Gelände wieder. Vorausgegangen war, dass Anwohner tagelang Rauchwolken von Feuern der Aktenvernichtung aus dem Innenhof der Bezirksstelle aufsteigen sahen.

9. Dezember

Putschaufruf des AfNS in Gera an alle DDR-Stellen, um das Ruder wieder herumzureisen oder um „…die Anstifter, Anschürer und Organisatoren dieser hasserfüllten Machenschaften gegen die Machtorgane des Staates zu entlarven und zu paralysieren...“

6. Januar 1990

Das Bürgerkomitee besetzt das Dienstobjekt, entwaffnet die Stasi-Mitarbeiter und sichert die Akten im Archiv und in den Dienstzimmern der AfNS-Bezirksstelle.

1. März 1990

Es kommt erstmals zur Einsicht in personenbezogene Akten durch betroffene Bürger.

SONDERSHAUSEN

6. 12. Bürger demonstrieren und betreten die Kreisdienststelle (KD)

7. 12. Waffentransport im Beisein der Bürgervertreter

HEILIGENSTADT

6. 12. Bürger betreten KD, alle Schränke sind leer, im Keller finden sich 24 Säcke mit zerhäckseltem Papier, Staatsanwalt versiegelt Räume

8. 12. Besichtigung durch Bürger, Abtransport Waffen und Aktenreste nach Erfurt

 

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