28.09.2007 - 16.11.2007 in Erfurt
01.12.2007 - 20.01.2008 in Bracknell, UK
Eröffnung am 28.09.2007, 18 Uhr, im Kunsthaus Erfurt
mit einer Einführung von Peter Lang (Kurator Berlin)
und Grußworten von Prof. Dr. Dagmar Schipanski (Präsidentin des Thüringer Landtags, Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst a. D.), Friederike Tappe-Hornbostel (Leitung Kommunikation Kulturstiftung des Bundes), Dr. Andrea Herz (Vertreterin der TLStU)
Pressetext:
Pam Skelton, mit familiären Wurzeln in Mittelosteuropa viel über hiesige Geschichten arbeitend, und der frühere DDR-Umweltaktivist Joachim Heinrich, Überwachungsopfer der Stasi, bringen Erfurt als typische Stadt der ehemaligen DDR mit fast 500 konspirativen Wohnungen zu Bewusstsein. Joachim Heinrich hat sie mit Wissenschaftlern der Universität Jena identifiziert. Die Ausstellung Konspirative Wohnungen // Conspiracy Dwellings wurde von Pam Skelton konzipiert und thematisiert diese „Orte des Verrats“ als bislang leere Stellen im stadträumlichen und sozialgeschichtlichen Gedächtnis. Gemeinsam mit den von ihr eingeladenen Künstlern der schwedisch-britischen Gruppe C.CRED und Tina Clausmeyer versucht sie, im Hinblick auf die konspirativen Wohnungen ein Portrait der Stadt zu zeichnen, das diese Leerstellen auffüllt und den Verrat plastischer erinnern lässt. Die Ausstellung und ein dazugehöriges Veranstaltungsprogramm finden unter Leitung von Verena Kyselka im Kunsthaus Erfurt und an fünf öffentlichen Stationen im Erfurter Stadtraum statt.
Weitere Veranstaltungen:
03.10.2007 Ulrich Schacht, Dresdner Stadtschreiber 2007 (Conspiracy Dwellings Lecture)
10.10.2007 Dr. Joachim Heinrich, Mitautor der Studie "Geheime Trefforte des MfS in Erfurt", DDR-Umweltaktivist und Initiator von KW//CD (Conspiracy Dwellings Lecture)
17.10.2007 Dr. Karin Hartewig, Autorin des Buchs „Das Auge der Partei – Fotografie und Staatssicherheit“ (Conspiracy Dwellings Lecture)
24.10.2007 Die Künstlerinnen Dora Garcia (gfzk Leipzig 2007), Pam Skelton und Verena Kyselka im Gespräch über ihre Arbeiten, Katalogvorstellung (Conspiracy Dwellings Talk)
31.10.2007 Prof. Dr. Karl-Siegbert Rehberg, TU Dresden, "Die verratenen Künste – Beobachtungen zur Funktion der bildenden Künste aus der Perspektive eines Gesellschaftsumbruchs" (Conspiracy Dwellings Lecture).
Das Projekt wird gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes (D), the Art Council England (GB), the Art and Research Council (GB), the International Centre for Fine Art Research (GB), the University of the Arts London (GB), die Landesbeauftragte des Freistaats Thüringen für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (D) und das Kunsthaus Erfurt (D).
Konspirative Wohnungen // Conspiracy Dwellings
28. 09. 2007 – 16. 11. 2007, Erfurt, 01. 12. 2007 – 20. 01. 2008 Bracknell
Künstlerische Leitung:
Pam Skelton - Projektleiterin und ausstellende Künstlerin
… lebt als Künstlerin in London. Ihre Projekte führen Kunst und Wissenschaft zusammen, indem sie auf der Grundlage von Materialien aus Archiven, Kunst, Geschichtsschreibung und Film verdeckte Geschichten vor allem aus der Zeit nach dem 2. Weltkrieg erkennen lässt und re-konstruiert. Von den Wurzeln ihrer Familie im osteuropäischen Judentum her ausgehend, konzentrierte sich ihre Arbeit in den vergangenen Jahren zunehmend auf Ansichten von Repression und den Missbrauch von Staatsmacht in Europa im 20. Jahrhundert. Seit Mitte der 90er Jahre führte P. Skelton diverse Projekte in Zentral-, Nord- und Osteuropa durch, die sich mit den Nachwirkungen der kommunistischen Regime befassen. „In meiner Arbeit werden Orte nach der Offenbarung ihrer Geheimnisse befragt und bestimmte Räume werden als Aufbewahrungsboxen vergangener Ereignisse gesehen, die Fährten zu Geschichten enthalten.“ Eines ihrer letzten Projekte war „Burning Poems”, eine Videoinstallation mit verschiedenen Stationen in Russland 2007-2009 einschließlich der Biennale in Moskau 2007. Weitere Ausstellungen waren in The Imperial War Museum, London; The Museum of Modern Art, Dubrovnik; The Aine Art Museum, Tornio, Finland; NGBK, Berlin; Ikon Gallery, Birmingham.
Pam Skelton über ihr Werk:
Conspiracy Dwellings - 5-Kanal-Videoinstallation
Pam Skeltons Videoarbeit Conspiracy Dwellings (2007) betrachtet die Stadt als dreidimensionalen Plan, der die konspirativen Wohnungen im Rahmen eines umfangreichen 5-Kanal-Videoportraits der Stadt als feste Bestandteile der Stadtarchitektur situiert und nicht mehr nur als "Leerstellen", die in die urbane Geographie eingegangen sind. Zwischen 2004 und 2006 war Pam Skelton zu Fuß und mit dem Fahrrad in Erfurt unterwegs, filmte die 482 konspirativen Wohnungen und Stasi-Häuser, die von 1980 bis 1989 aktiv waren, in den Vierteln, in denen sie sich befinden, und übernahm damit die Rolle einer Archäologin zeitgenössischer Geschichte, einer "Malerin des modernen Lebens". Conspiracy Dwellings // Konspirative Wohnungen präsentiert die Stadt im 21. Jahrhundert als hyperrealistische Landschaft in Technicolor, in der immer die Sonne scheint (was auch tatsächlich so war) und in der jede einzelne konspirative Wohnung anhand ihres Decknamens und ihrer Stasi-Registrierungsnummer identifiziert und in den Kontext ihrer unmittelbaren Umgebung gestellt wird. Jeder der fünf Video-Kanäle widmet sich einem Stadtteil von Erfurt - 1. Altstadt und zentrale Einkaufsstraßen, 2. Juri-Gagarin-Ring, 3. Vororte Erfurt Nord, 4. Neuere Vororte im Norden und 5. Erfurt Süd - und wird, ergänzt durch begleitendes Dokumentations- und Informationsmaterial, an einem der folgenden Veranstaltungsorte gezeigt.
Kanal 1: Altstadt und Zentrum von Erfurt (DVD mit Ton, 24,4 Min.), Ort: Foyer des Rathauses; Kanal 2: Juri-Gagarin-Ring (DVD mit Ton, 17,26 Min.), Ort: Foyer des Radisson SAS, Juri-Gagarin-Ring; Kanal 3: Erfurt Nord (DVD mit Ton, 23 Min.), Ort: Glasbox, Universität Erfurt; Kanal 4: Nördliche Vororte (DVD mit Ton, 36,42 Min.), Ort: Stadtteilbibliothek, Berliner Platz; Kanal 5: Südliche Vororte (DVD mit Ton, 34, 06 Min.), Ort: Foyer des Thüringer Landtags.
Die gesamte Arbeit wird als 5-Kanal-Installation im Kunsthaus Erfurt gezeigt.
Verena Kyselka - Kuratorin für Erfurt / Ausstellungsbeitrag in Bracknell
... in Erfurt aufgewachsen, lebt und arbeitet als Künstlerin und freie Kuratorin in Berlin und Erfurt. In ihren medienübergreifenden Arbeiten schafft sie gesellschaftspolitische, biografische und interkulturelle Verbindungen. Ausstellungsprojekte führten sie von 1990 bis 2007 nach Zentralamerika, Taiwan und Australien. Zu ihrer kuratorischen Tätigkeit gehören die Projekte: MultimedialistInnen – internationales Performancefestival (1992), Vita Activa (1997), Babajagas & Witches - Mythologien zwischen Ost und West (2000). Ausgehend von den familiären Erfahrungen mit der Überwachung des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR und deren Folgen, sowie ihrer eigenen kontextbezogenen künstlerischen Auseinandersetzung begleitet sie das Projekt „Konspirative Wohnungen“ seit 2006, dessen künstlerische Leitung sie im Februar 2007 übernahm.
Weitere beteiligte Künstler:
C.CRED [Collective CREative Dissent] / Ausstellungsbeiträge in Erfurt und Bracknell
… ist ein in London ansässiges, aber sich sehr nomadisch verhaltendes Künstlerkollektiv, eine kollaborative Struktur, die sich im ständigen Werden begreift. Im August 2007 begann C.CRED ausgehend von dem Gedanken im Rahmen von Conspiracy Dwellings die spezifischen geschichtlichen Gesichtspunkte zu erkunden und in einen erweiterten kontextuellen Zusammenhang zu bringen, eine Serie von Gesprächen mit Menschen aus Erfurt und Umgebung zu führen, um eine Vielzahl von Meinungen und Erzählungen zu sammeln und gleichzeitig zu artikulieren. Für die Ausstellung werden die aufgenommenen Gespräche in eine polyphone Audioinstallation umgewandelt, die die unterschiedlichen Gesprächsthemen und die passenden Sounds zusammenfasst.
C.CRED über ihr Werk:
Ausgehend von dem Gedanken, dass wir im übergreifenden Rahmen von Conspiracy Dwellings die spezifischen geschichtlichen Gesichtspunkte erkunden und in eine weiten, kontextuellen Zusammenhang bringen sollten, der es einer Vielzahl von Meinungen und Erzählungen ermöglicht, gleichzeitig artikuliert zu werden, begann C.CRED im August 2007 damit, eine Serie von Gesprächen mit Menschen vorwiegend aus Erfurt und Umgebung aufzunehmen. Für die Ausstellung werden die aufgenommenen Gespräche in eine polyphone Audioinstallation umgewandelt, die unterschiedliche Geräuschquellen bezogen auf spezifische Themen aus den Gesprächen zusammenfasst. Wir hoffen, dass diese Installation, und die Tonspuren, die hineinführen, zugleich konstruieren und problematisieren, helfen auszudrücken und zu verschweigen; kristalline Bilder einer Geschichte, die niemals besessen werden kann, aber deren Funktion es ist, uns immer wieder unser unwiderrufliches Recht zu vergewissern, zu widersprechen.
Tina Clausmeyer Ausstellungsbeiträge in Erfurt und Bracknell
… lebt und arbeitet in Berlin und London. Als Künstlerin und Kulturwissenschaftlerin arbeitete sie an verschiedenen Schnittstellenprojekten zur Kunst/Politik sowie zur Entwicklungszusammenarbeit in (Post-) Konfliktregionen wie den Palästinensischen Autonomiegebieten und im Kongo. Seit Juli 2003 ist sie an „Konspirative Wohnungen“ beteiligt. Für das Projekt untersucht T. Clausmeyer die früheren Überwachungsstrukturen und legt dabei das unsichtbare Netz der konspirativen Wohnungen heute frei. Ihre Arbeiten erstellen fotografische Gegen-Kartographien der Stadt Erfurt in Form einer Bilddatenbank mittels dokumentarischer Fotografie. Neben dieser Arbeit beschäftigte sie sich mit geheimen Netzwerken nach 9/11, die u. a. Gegenstand der von ihr kuratierten Konferenz „Towards a New Visualization of Secrecy? Representations of Secrecy within Contemporary Terrorism and Counter-Terrorism“ im Stedeljik Museum CS im März 2007 in Amsterdam waren. Ihre Arbeit im Projekt wurde durch ein zweijähriges Forschungsstipendium der Jan van Eyck Akademie in Maastricht finanziell unterstützt. Derzeit studiert sie „Development & Rights“ am Goldsmiths College in London.
Tina Clausmeyer über ihr Werk:
Visualisierung der konspirativen Überwachungsarchitektur des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR – Erfurt als Modellstadt
Die vorliegenden Bilder konzentrieren sich auf die geografische Spannweite der gesamten Überwachungsarchitektur des MfS in Erfurt während der 1980er Jahre. Jeder geheime Treffort wird durch ein Bild dargestellt. Insgesamt wird so ein konspirativ genutztes, urbanes Netzwerk von 201 einzelnen Strassen (die einen oder mehrere dieser ehemaligen Trefforte aufzeigen) und fast 500 einzelner geheimer Trefforte visualisiert. Davon liegen, wie Joachim Heinrich beschreibt, 60% der KW in privaten Wohnungen, 20% in Betrieben oder Institutionen und 20% in von der Stasi unter einem Vorwand angemieteten Wohnung. Wiederum andere Trefforte, die aufgrund von Umnummerierungen oder Gebäudeabrissen nicht mehr lokalisiert werden können, sind als visueller Leerraum (d.h. nicht länger repräsentierbar) in die Gesamtkartografie miteingefügt. Geordnet ist diese Gegenkartografie alphabetisch nach den Erfurter Stadtteilen, in denen einst aktiv genutzte, geheime Trefforte identifiziert werden konnten; innerhalb der Stadtteile werden diese Orte den jeweiligen Straßen anonym zugeordnet. Erst durch die Betitelung der Fotos kann zu den so genannten Tatsachendateien ein unmittelbarer Aktenbezug hergestellt werden.
Das visuelle Erscheinungsbild der konspirativen Trefforte verdeutlicht die Banalität der alltäglichen Herrschaftsausübung der SED-Diktatur. Dabei wird die Unsichtbarkeit der einst konspirativ genutzten Architektur durch das heutige Sichtbarmachen konterkariert, so dass die dokumentierten Trefforte als potentielle Erinnerungsorte fungieren können. Nahezu trivial und gewöhnlich erscheint dabei die Auswahl dieser ehemals geheimen Trefforte, die benötigt wurden, um den perfiden Kontrollapparat von innen heraus zu organisieren und die Überwachungsstrategien und Kontrollmechanismen des MfS zu stützen. Dem Betrachter offenbart sich ein organisatorisches und urbanes Netzwerk verschlüsselter Räume, die sich nun von sich selbst entfalten und jetzt und damals repräsentieren. Ziel der Visualisierung dieser Trefforte ist es, die Erinnerung an den MfS-Kontroll- und Überwachungsapparat mit bestimmten Stadtteilen, Orten, Straßennamen und Hausnummern in Verbindung zu bringen, die zwar alle noch existieren, (z. T. bereits umbenannt, verändert, verlassen, abgerissen), aber herkömmlich nicht als Teile der MfS-Überwachungsarchitektur erinnert werden.
Ziel dieser Visualisierung ist nicht, individuelle Trefforte hervorzuheben, sondern über die Darstellung in ihrer Totalität, sich dem einstig unsichtbaren Phänomen der Konspirativen Wohnungen anzunähern und so eindrucksvoll das ganze Ausmaß der konspirativen Überwachungsnetzwerke des MfS und den diesen Netzwerken zu Grunde liegenden pathologischen Überwachungswahn beispielhaft zu veranschaulichen. Die tatsächlich konspirativ genutzten Zimmer, Wohnungen oder sonstigen Objekte sind nie abgebildet, sondern lediglich die äußere Fassade. Die ehemaligen Trefforte des Verrats präsentieren sich heute als private Wohn- und Geschäftsobjekte. Die (Re-)Konstruktion der Verknüpfung obliegt dem Betrachter selbst.
Wissenschaftliche Begleitung:
Joachim Heinrich Mitinitiator und Autor
… ist promovierter Epidemiologe und Mathematiker. In den 1980er Jahren leitete er die Interessengemeinschaft „Umweltschutz / Umweltgestaltung“ beim Erfurter Kulturbund und geriet wegen des Verdachts auf Gründung einer oppositionellen Gruppierung unter dem Dach des Kulturbundes in den Blick des MfS. Nach dem politischen Umbruch wirkte er als Zeitzeuge mit bei der Erforschung von Aktivitäten des MfS im Zusammenhang mit der genannten Erfurter Umweltgruppe. Er ist Initiator des Projekts "Konspirative Wohnungen // Conspiracy Dwellings" und Mitherausgeber der Studie "Geheime Trefforte des MfS in Erfurt", Erfurt 2006 (zus. mit Heinrich Best und Heinz Mestrup).
Trägerschaft:
Die Landesbeauftragte des Freistaats Thüringen für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR