IMB waren die "Elite" der Stasi

Der Erfurter Stasi teurer Spitzel
Herbert Gräser IMB „Schubert“ Leo

Herbert Gräser hat Joachim Heinrich verklagt. Es geht um ein Foto und seine Bildunterschrift.
Das Foto ist vom 4. Dezember 1989 von der Besetzung der MfS-Bezirksverwaltung in Erfurt.
Es ist ein bekanntes Bild. Meist lautet der Untertitel: Bürgerrechtler besetzen die Stasi-Zentrale.
Joachim Heinrich hat auf seiner Internetseite www.stasi-in-erfurt.deetwas richtig gestellt. Es sind nicht nur Bürgerrechtler auf dem Bild, sondern auch der IMB „Schubert“, der in Wirklichkeit Herbert Gräser heißt und von denen, die ihn bis 1989 für ihren Freund hielten, Leo gerufen wurde. IMB „Schubert“ hat Joachim Heinrich bespitzelt. Gräser bestreitet das nicht, fühlt sich aber durch die Bildunterschrift in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt.

Was also hat es mit IMB „Schubert“ auf sich?

IM war nicht gleich IM, es gab Einteilungen, Funktionstypen inoffizieller Arbeit.
Nach Müller-Enbergs, dem Spezialisten der BStU für Fragen der inoffiziellen Mitarbeiter,
gab es IM erstens zur Sicherung bestimmter Bereiche, zweitens zur „Feindbekämpfung“ und drittens für logistische Aufgaben1. Die IMB waren der zweiten Kategorie zugeordnet. Sie waren die „hochkarätigen Agenten“, die „bei der direkten ‚Bearbeitung’ von verdächtigen Personen eingesetzt“ wurden. Sie haben nicht nur Informationen über Personen gezielt gesammelt und weitergegeben. Sie hatten „die Aufgabe, zur ‚Zersetzung’, Zerschlagung oder Zurückdrängung von ‚Feinden’ beizutragen“2. Die MfS-Definition lautete: IMB sind „IM der Abwehr mit Feindverbindung bzw. zur unmittelbaren Bearbeitung im Verdacht der Feindtätigkeit stehender Personen.“3 „Es wurde betont, dass sie ‚direkt’ an den ‚feindlich tätigen Personen’ arbeiten sollten. Sie hatten deren Vertrauen zu erlangen und ihre Absichten zu erkunden, Beweise zu sammeln und zur Bekämpfung …subversiver Aktivitäten beizutragen.“ Dazu mussten sie besondere Bedingungen erfüllen. Sie „sollten für ‚feindliche Stellen’ interessant sein, jedoch über eine ‚nachweisbar feste Bindung’ an das MfS verfügen“4
Die Zahl der IMB blieb bis zum Ende der DDR klein aber fein. 1989 betrug sie 3 Prozent der Gesamtzahl des Spitzel-Bestandes.

IMB, die Personen „bearbeiteten“ sollten neben der Beschaffung von Informationen auch öffentliche Handlungen mit „Gesellschaftsgefährlichkeit“ verhindern, Streit zwischen Mitgliedern oppositioneller Gruppen säen sowie Beweismittel beschaffen und „subversive“ Handlungen zurückdrängen. Die IMB waren die praktische Umsetzung von Erich Mielkes Maxime, die IM seien die wichtigste Waffe des MfS.

1988/89 wurden in der Kreisverwaltung Erfurt 630 IM geführt, nur 16 von ihnen waren IMB wie Herbert Gräser. Kaum einer aber war dem MfS so teuer wie er.
In der Zeit von November 1981 bis zum Ende des MfS bekam er allein Prämien von insgesamt 2 950 Mark. Die meisten Spitzel erhielten auch bei langjähriger Tätigkeit nur ein paar Geschenke oder einige hundert Mark.
Aber da der IM fleißig war, die 11 Bände der Berichtsakte umfassen mehr als 3 000 Seiten, hatte er Auslagen, Bewirtungskosten (die er wohl durchaus nicht immer selbst bezahlt hatte), Benzinkosten. Er ließ sich diese mit fast 40 000 Mark erstatten.
Mit dem MfS schloss er einen Vertrag über die Nutzung seines PKW ab. Für die Unterhaltung des Wagens erhielt er vom MfS zusätzlich einen Kredit von 2 000 Mark, den sein Führungsoffizier Major Peter Ludwig bei der Sparkasse für ihn unterzeichnete.
In der Offenen Arbeit in Erfurt sammelten sich Jugendliche, die durch abweichende politische Meinungen, durch individuelles Auftreten durch die Raster des SED-Staats fielen und sozial oft am Rande der Gesellschaft lebten. Ein glaubwürdiger Spitzel musste in diese Szene passen. Die Halbtagsstelle als Haushandwerker einer Apotheke erfüllte diese Anforderung. Auch ließ sie genug Zeit für die intensive Kontaktpflege und Berichtstätigkeit des Spitzels.
Herbert Gräser verpflichtete sich nicht nur zur Mitarbeit, sondern er schloss mit dem Ministerium im März 1982 eine weitere Vereinbarung, in der er seine Bereitschaft erklärte, im Auftrag des MfS notfalls auch die Arbeitsstelle zu wechseln, um „bessere Gelegenheiten zur Kontaktaufnahme“ und „zur direkten Bekämpfung von Feinden der DDR“5 zu haben. Von da an erhielt er monatlich etwa 600 Mark Lohnausgleich bis zum November 1989, insgesamt 55 250 Mark. Das war das Einstiegsgehalt eines Hochschulabsolventen. Viele Familien mussten mit weniger auskommen. Damit ist Herbert Gräser quasi ein hauptamtlicher inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit.
Insgesamt also 58 200 Mark Zuwendungen ohne jeden Abzug. Dazu 39 197,16 Mark Aufwandsentschädigungen. Der IM kostete das MfS stolze 97 397,16 Mark.

Der Aufwand rechtfertigte sich aus der Schlüsselstellung für das MfS, die Herbert Leo Gräser in der Erfurter Szene innehatte.
Die Offene Arbeit in Erfurt war ein Zweig der kirchlichen Jugendarbeit. Anders als in vielen anderen Städten der DDR hielt die örtliche Kirchenleitung schützend ihre Hände über diese Arbeit. Propst Heino Falcke, Superintendent Hellmuth Lauszat und Senior Helmut Hartmann konnten viele staatliche Eingriffe abfangen, ihre Mitarbeiter und in manchen Fällen auch engagierte Jugendliche vor Willkür schützen. Die Offene Arbeit, die „Oase“, in der Ausländer einen freien Raum fanden, und die Evangelische Studentengemeinde konnten deswegen zu inhaltlich qualifizierter Arbeit kommen. Themen des Umweltschutzes, der Wehrdienstverweigerung, Friedensfragen konnten hier erforscht und besprochen werden. Die Erfurter Szene gewann Ausstrahlung in das Umland und bis nach Leipzig und Berlin.
Das MfS war deswegen ständig auf der Suche nach kriminalisierbaren Vorgängen. Die Gruppen sollten durch Streitigkeiten, Verdächtigungen und Differenzierung zerstört werden. Für seine Maßnahmeplanung brauchte das MfS detaillierte Informationen. Psychologisierende Personeneinschätzungen, Wohnungspläne, Informationen über Absprachen, Verbindungen, Arbeits- und Einkommensverhältnisse. All das konnte der kontaktfreudige, umtriebige IMB „Schubert“ liefern. Manche der 605 Berichte sind 10 Seiten lang. Schon zwei Jahre nach der Werbung hatte er Informationen zu fünf „operativen Vorgängen“ und acht „operativen Personenkontrollen“ geliefert6.
Er hatte Zeit. Er war freundlich und offen. Er fand schnell Kontakt und die Leute vertrauten ihm. Am 6.9.1988 berichtet er über eine neue Bekannte: „sie hat in mir einen freund gefunden den sie sehr liebt die betonung liegt auf freund mit dem sie über alles sprechen kann. somit kann ich vorerst einschätzen das … die vertrauensbildung in form eines freundschaftlichen engen verhältnis erreicht ist.“7
Er war ein Hansdampf in allen Gassen, half auf Baustellen, konnte bei dem Handwerkermangel an vielen Stellen helfen. Er hatte ein Auto, mit dem sich viele Transportprobleme lösen ließen.
So war es immer wieder Leo alias Herbert Gräser alias IMB „Schubert“, der eine Ausstellung transportierte, zu Basisgruppentreffen nach Weimar delegiert wurde, nach Berlin fuhr. Die Informationen waren so stets zuerst beim MfS. Führungsoffizier Peter Ludwig urteilte im November 1987: „Der IMB trug wesentlich dazu bei, die operative Lage im kirchlichen Personenkreis zu beherrschen“.
Manchmal kam es auf die schnelle Information an. Es war IMB „Schubert“, der am 4. Juni 1989 nachts nach elf seinen Führungsoffizier anrief, am nächsten Vormittag sei eine Flugblattaktion in ganz Erfurt geplant. Die Leute sollen wissen, dass die Wahlfälschung vom 7. Mai 1989 in Erfurt bewiesen ist und die Behörden nichts tun. Gräser benennt die beteiligten Personen, beschreibt die geplante Strategie. Am nächsten Vormittag greifen die Sicherheitsorgane zu. Zur Tarnung wird – wie vorbesprochen – auch der IM zugeführt und verhört. Die „wertvolle Information“ wird fünf Tage später mit einer Prämie von 1 000 Mark „mit besten Wünschen“ für „Erfolg an der unsichtbaren Front“ gewürdigt.
Der letzte Bericht in der Akte des IMB datiert vom 13. September 1989. Am 30. Oktober holt er sich den Lohnausgleich für November ab. Danach gibt es noch Informationsberichte „gezeichnet: Schubert“ über das entstehende Neue Forum, in dem Herbert Gräser anfangs eine führende Rolle spielte.

Das letzte Dokument im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für das MfS dürfte das beklagte Foto sein: Herbert Leo Gräser am 4. Dezember 1989 in der MfS-Bezirksverwaltung. Mit zahlreichen Bürgerrechtlern, die die Arbeit der Geheimpolizei und die Aktenvernichtung stoppen wollen, ist er in das Haus gekommen. Die Besetzer haben den Militärstaatsanwalt geholt. Er versiegelt die Räume mit den Akten, damit nichts mehr weggeschleppt werden kann. Auf dem Foto schaut IMB „Schubert“ Herbert Gräser dem Uniformierten über die Schulter. Er will wohl genau wissen, was zukünftig mit den Akten passiert.

Hildigund Neubert

16. 3. 2009