Erklärung des Bausoldatenkongresses 2004

Vom 3. bis zum 5. September 2004 trafen sich in Potsdam ca. 350 ehemalige Bausoldaten zum Kongress „Zivilcourage und Kompromiss - Bausoldaten in der DDR 1964-1990“. Wir, die Unterzeichner dieser Abschlußerklärung, wollen und können nicht für jeden Einzelnen der rund 27.000 gemusterten Bausoldaten sprechen, die in der DDR den Waffendienst verweigert haben. Zu unterschiedlich sind die Lebensauffassungen, Motive und politischen Leitvorstellungen, die uns in die Zwangsgemeinschaft der Spatensoldaten zusammengeführt haben.

Doch eines ist allen gemeinsam: Die Entscheidung zum Bausoldatendienst war ein Akt der Selbstbehauptung, der Bewahrung der eigenen Überzeugung gegenüber einem politischen System, das nicht nur seine innere und äußere Sicherheit auf Gewalt aufbaute, sondern auch die Bürger in militärische Gehorsamsstrukturen einband. Die Bausoldaten haben sich dem allgegenwärtigen Machtanspruch des Staates an diesem entscheidenden Punkt widersetzt. Sie waren bereit, dafür lebenslange Konsequenzen hinzunehmen, die ihnen das System auferlegte: Diskriminierung im Berufsleben, gesellschaftliche Ächtung, Überwachung durch die Staatssicherheit. Weit über die Verweigerung des Waffendienstes hinaus wurden die Bausoldaten damit zum politischen Symbol für den Widerspruch nicht nur im Glauben und Denken, sondern im öffentlichen Handeln.

Über diese schwerwiegende Entscheidung hinaus setzten sich viele Bausoldaten während des Wehrdienstes für das Recht auf freie Religionsausübung, für eine menschenwürdige Behandlung, für einen Einsatz an zivilen Objekten, für die Einhaltung wenigstens primitivster Regeln des Gesundheitsschutzes ein. Manche Bausoldaten lehnten den Bau von Schießanlagen und militärischen Flugplätzen ab. Sie weigerten sich, dem Staat ein Treuegelöbnis abzulegen und widersetzten sich der Forderung nach absolutem Gehorsam. Sie nahmen dafür Disziplinierungen, Bestrafungen und Haft in Kauf.

Auch außerhalb des Wehrdienstes engagierten sich viele Bausoldaten. Sie riefen die Bevölkerung auf, sich der Militarisierung der Gesellschaft zu widersetzen (u.a. Prenzlauer Bausoldaten 1966; Berliner Appell 1982). Sie waren Initiatoren des ersten Konzeptes „Erziehung zum Frieden“ (Dresden 1969/70), das eine Erziehung frei von Feindbildern, politischen Vorurteilen, Hass und militärischem Denken vermittelte. Bausoldaten versuchten bereits 1967, eigene Kandidaten für die Volkskammerwahl aufzustellen und entlarvten damit das sozialistische Wahlsystem als Farce. Schon in den siebziger Jahren bildeten die ehemaligen Bausoldaten einen der Kristallisationspunkte der unabhängigen Friedensbewegung (Königswalde). Sie gehören zu denen, die sich seit 1981 für einen Sozialen Friedensdienst einsetzten und das Gesetz über den Zivildienst 1990 entscheidend vorantrieben. Sie förderten das Friedenszeugnis der Kirchen in den Gemeinden und auf kirchenpolitischer Ebene. Sie waren in der Beratung und Hilfe für die Wehrdienstverweigerer engagiert. Viele der Bürgerrechtler der achtziger Jahre sind Bausoldaten gewesen.

Aus den Erfahrungen dieses Engagements für eine offene, freie und friedliche Gesellschaft heraus formulieren wir anlässlich des Kongresses unsere

Visionen für ein friedliches Miteinander:

1. Unser Widerspruch wird weiter gebraucht:

Wir haben in einem Staat gelebt, der keinen Widerspruch zu seiner Politik zuließ. Wir haben Alternativen gesucht und gefunden. Heute ist nach unseren Erfahrungen dann Widerspruch nötig, wenn Politiker und Wirtschaftsmanager behaupten, zu ihren Konzepten gäbe es keine Alternative und sie diese mit Lügen und Manipulation durchsetzen.

Wir haben in einem Staat gelebt, der ein totales Informationsmonopol beanspruchte. Heute ist nach unserer Erfahrung dann Widerspruch nötig, wenn Informationen zurückgehalten, manipuliert und zensiert werden, um Gewinne zu erhöhen und Kriege oder andere militärische Aktionen zu legitimieren.

Wir haben in einem Staat gelebt, in dem die militärische Drohung als Basis der Friedens- und Sicherheitspolitik galt. Heute ist nach unseren Erfahrungen dort Widerspruch nötig, wo die Konzepte zur Regelung von Konflikten vom Einsatz militärischer Gewalt bestimmt sind, wo der Diplomatie und der UNO keine Chance eingeräumt werden.

Wir haben in einem Staat gelebt, der, um seiner eigenen Machterhaltung willen, jede Regung seiner Bürger überwachen ließ. Wir gingen davon aus, dass wir kirchlichen Mitarbeitern vertrauen konnten. Heute ist nach unseren Erfahrungen dann Widerspruch nötig, wenn ein solcher Vertrauensschutz, den man auch Gegnern gewähren muss, durch die Möglichkeit von z.B. Lauschangriffen aufgehoben wird.

Wir haben in einem Staat gelebt, der unter dem Slogan „Solidarität“ bewaffnete Konflikte in der Dritten Welt förderte. Heute ist nach unseren Erfahrungen dann Widerspruch nötig, wenn das Streben nach wirtschaftlichem Gewinn Waffenexporte, sogar in potentielle Krisengebiete, möglich macht.

2. Unser Engagement bleibt weiter nötig:

Wir haben damals der Mutlosigkeit und Resignation widersprochen, weil wir der Kraft der Schwachen vertraut haben. Heute setzen wir uns dafür ein, dass die politisch Verdrossenen die Chancen von Bürgerengagement, Demokratie, Öffentlichkeit und Recht in Anspruch nehmen.

Wir haben damals der tödlichen Logik des Kalten Krieges und des Wettrüstens widersprochen. Heute setzen wir uns für politischen Streit, die Überwindung von Schuldzuweisung zwischen den Völkern und praktizierte Vergebung ein. Organisationen (UNO) und Institutionen sollten gestärkt werden, eskalierende Konflikte mit nichtmilitärischen Maßnahmen, z.B. dem Einsatz von Friedensarbeitern oder Wirtschaftembargo, als auch polizeilichen Mitteln überwinden zu können. Dazu gehören vorsorgende Maßnahmen gegen zu befürchtende Kriege um Öl, Wasser und weitere Naturschätze.

Wir haben damals für einen Zivildienst und ein Recht auf Verweigerung des Kriegsdienstes gestritten. Heute setzen wir uns dafür ein, dass diese Rechte in Deutschland gestärkt und geltendes europäisches Menschenrecht werden.

Wir sind damals diskriminiert und an den Rand der Gesellschaft gedrängt worden. Heute setzen wir uns für eine offene Gesellschaft ein, die sozial Schwache, Ausländer, Arbeitslose, Alte und Kranke in ihrer Mitte leben lässt, eine Gesellschaft, die den Wert der Solidarität höher stellt, als die so genannten Sachzwänge leerer Kassen und wirtschaftlicher Effizienz.

     Visionen ohne Sinn für die Realitäten werden militant.
     Realitätssinn ohne Visionen wird kraftlos.

Im Handeln schlägt sich dies nieder in der Balance aus Zivilcourage und Kompromiss. Wir ehemaligen Bausoldaten stehen dazu, dass die erzielte Balance verantwortbar war. Wir blicken voller Hochachtung auf die Totalverweigerer in der DDR, die uns an Konsequenz in vielem ein gutes Stück voraus waren. Zugleich gilt unsere Anerkennung und Unterstützung allen Kriegsdienstverweigerern, insbesondere in jenen Ländern, in welchen sie wegen fehlender Rechtsnormen diskriminiert oder gar inhaftiert werden.

Mit diesen Sätzen berufen wir uns sowohl auf die Friedensethik Jesu, formuliert in der Bergpredigt, als auch auf den jüdischen Propheten Micha, dessen Vision die Menschheit seit fast 3.000 Jahren begleitet hat:

     Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen
     und ihre Spieße zu Sicheln umschmieden.
     Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben
     und sie werden künftig nicht mehr lernen, Krieg zu führen.