Der Gefängnisbau Andreasstraße 37 in Erfurt

Dr. Andrea Herz
(Auszug aus “Stadt und Geschichte. Zeitschrift für Erfurt” Heft II/2005)

Auf dem Grundstück der alten Parkanlage Louisenthal beim Domplatz steht seit fast 130 Jahren ein großes Haus, dessen Inneres fast allen Erfurtern unbekannt ist. Das ist auch ganz normal, denn es diente bis 2001 als Gefängnis.
Seit 2005 kann man das bislang abgeschottete Innere nun endlich mit  geöffneter Tür vorfinden. Nachdem Militärübungen, Abrisspläne und Bausperrung einigermaßen vom Tisch sind, soll eine Kunstausstellung nicht nur einen Teil des Zellentrakts öffnen, sondern auch Wege für eine zukunftsfähige Nutzung und eine Gedenkstätte ebnen helfen.

Das Haftgebäude bis 1952
1874/79 entstand das Gerichtsgefängnis auf dem dreieckigen Grundstück direkt hinterm Gerichtsneubau. Die Ziegelfassade sollte den arbeitserzieherischen Charakter des liberalen Strafhaftkonzepts unterstreichen, die romanischen Verzierungen sind überaus typisch für historistische Justizarchitektur, hinter den Vierpaß-Fenstern im Mittelrisalit lag ein schöner Kapell- und Vortragsraum. Das Landesdenkmalamt nennt ihn den bedeutendsten Gefängnisbau Thüringens. Sein Grundriß ist in einer weitverbreiteten „Baukunde des Architekten” als Modelltypus für vorbildlichen Gefängnisbau gezeigt.
In den ersten Jahrzehnten diente der Bau zur Unterbringung der Häftlinge des Landgerichts Erfurt, zu dem die Kreise Erfurt/Stadt, Erfurt/Land, Weißensee, Langensalza und Mühlhausen gehörten. In den Gerichtssälen waren Straferziehung, Arbeitsbeschäftigung und Wiedereingliederung wichtige Strafrechtsmotive.

1933 setzte sich die Nutzung als Gerichtsgefängnis fort. Die politischen NS-Häftlinge waren allerdings nicht hier eingesperrt, sondern bei der Erfurter und Weimarer Gestapo.
Die Amerikaner lösten im April 1945 die deutsche Justiz vorerst auf, so daß auch das Gerichtsgefängnis seine Funktion verlor.
1945-48 hatte die sowjetische Kommandantur das Gebäude beschlagnahmt und nutzte es als Magazin und Transportlager. Einige deutsche Gefangene waren hier untergebracht, um Hilfsarbeiten auszuführen.

Mitte 1948 kam das Haus in die Hände der entnazifizierten, betont rechtsstaatlich arbeitenden Thüringer Landesjustiz, die hier zwei getrennt geleitete Anstalten unterbrachte: die Haftanstalt (U-Haft) des Gerichts und eine Strafanstalt für Kurzstraf-Verurteilte. Das neue, NS-unbelastete Personal organisierte die Beseitigung von Kriegszerstörungen und achtete strikt auf Gefangenenrechte und sinnvolle Beschäftigung. Anstaltsprüfer nannten die Haftsituation „human, aber nicht freundschaftlich“.

Nach DDR-Gründung übertrug die SED-Führung den gesamten DDR-Strafvollzug an die Polizei, die – anders als die Justiz – bereits SED-hörig war. Die Polizei übernahm die Strafanstalt und 1952 schließlich auch die U-Haft. Im Keller entstand ein neuer Zellentrakt, der neben dem Erdgeschoß bis 1989 zur Unterbringung von Polizeihäftlingen diente.

Die Polizei blieb nicht lang allein Herr im Hause. Die in Weimar ansässige Länderverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) plante hier bald ihr Thüringer Zentralgefängnis, – für ihre „politischen Häftlinge“. Im Frühjahr 1952 zog die MfS-Haftanstalt unter Leitung von Kommandeur Koch ein. Und weil Thüringen bald darauf in DDR-Bezirke unterteilt wurde, wurde daraus schließlich der „Stasiknast“ für den Bezirk Erfurt. Im Behördenneubau nebenan ließ sich die Stasi-Bezirksverwaltung Erfurt nieder.
Die alte Bechtheimer Straße – von der Lauentorstraße zur Webergasse führend – wurde verschlossen. Ihr nördlicher Teil verband den Gefängnisbau und die Stasi-Bezirksverwaltung lückenlos miteinander.

Bis 1989 war die Andreasstraße berüchtigt. Die Westseite mit Bezirksgericht, Gefängnis und Stasi-Zentrale war die geballte Demonstration des SED-Herrschaftsanspruchs – der gewöhnliche Fußgänger bevorzugte die andre Straßenseite.
Die Staatssicherheit fungierte zuallererst als innenpolitisches Machtinstrument der SED-Führung, welche Alleinherrschaft und umfassende Gesellschaftsprägung beanspruchte. Sie war 1950-89 das, was George Orwell 1949 im Roman „1984“ mit Gedankenpolizei meinte.
Diese MfS-Funktion – „Schild und Schwert der Partei“ – prägte das Handeln all seiner Diensteinheiten, ganz besonders aber das der Untersuchungsabteilungen IX, die seit 1950 einen zentralen Status im MfS-Apparat inne hatten.
In Sachen "Feind-Bekämpfung" verfügte das MfS über umfassende, unkontrollierte Befugnisse, die weit in den traditionellen Status der Justiz hineinreichten.
 
Stasi-Haft Andreasstraße
„Es war einfach schrecklich, ständig die Menschen am Domplatz zu hören, ohne Hoffnung zu haben, dort jemals wieder hingehen zu dürfen.“ – Das hört man im Gespräch mit Menschen, die bei der Erfurter Staatssicherheit inhaftiert waren, immer wieder.
Und Methode der Stasi-Mannschaften war es, ihnen diese Hoffnung täglich aufs Neue zu rauben, indem sie mit Lebenslänglichkeit und Sippenhaft drohten, das Selbstgefühl der Inhaftierten zu beschädigen suchten und sie gesundheitsschädigendem Psychodruck aussetzten.

Jenseits aller Außenkontrolle waren in der MfS-Haftanstalt Andreasstraße ständig zig Menschen aus politischen Gründen eingesperrt. Als Haftgründe dienten politische Strafparagraphen wie „Hetze“, „Sabotage“, „ungesetzlicher Grenzübertritt“, „Staatsverleumdung“, „Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit“, „Menschenhandel“, „asoziales Verhalten“, „ungesetzliche Gruppenbildung“, „ungesetzliche Verbindungsaufnahme“ usw. In der Regel führten die oft mehrmonatigen MfS-Untersuchungsvorgänge zu entsprechenden Strafurteilen im benachbarten Bezirksgericht.

Mit KSZE, UNO-Mitgliedschaft und internationalem Druck engte sich nach 1975 der Aktionsraum der politischen Strafverfolgung zwar ein (das MfS betrieb nun gegen Oppositionelle häufiger die ebenso unerträglichen “Zersetzungsmaßnahmen“), die Inhaftiertenzahlen stiegen aber dennoch stetig weiter an.
Im typischen Verlauf eines politischen MfS-Untersuchungsverfahrens und im typischen MfS-Haft-Erleiden änderte sich in den vier Jahrzehnten nur wenig. Der grobe Ablauf war bei vielen politisch Inhaftierten etwa so:
Die Verhaftungen erfolgten stets unverhofft (oft auf dem Arbeitsweg oder im Betrieb) und nicht selten unter dem Vorwand „zur Klärung eines Sachverhalts“. Nach dem Eintreffen wurde eine sogenannte Erstvernehmung angesetzt, in der „das Überraschungselement .... gezielt genutzt“ wurde und massive Einschüchterungen erfolgten. Dann folgte die entwürdigende Aufnahmeprozedur und schließlich eine mehrtägige Isolierhaft. Die psychologischen Absichten sind wohl unverkennbar.

Das setzte sich auch in den Verhörserien fort, die von Stasi-Offizieren geführt wurden, welche ausführlich im MfS-Lehrfach „operative Psychologie“ geschult waren. Da IM's, Wanzen und anderweitige Ausspähung nicht offiziell und rechtsgemäß waren, brauchte die Stasi für die Gerichtsverfahren als Beweismittel unbedingt Geständnisse und Verhörprotokolle. In den täglichen Verhören mußten die Gefangenen stundenlang reglos in verkrampfter Körperhaltung verharren und waren den ständig wiederholten Fragen und Vorwürfen, dem bedrohlichen Geschrei und den verführenden Versprechungen, den gefälschten „Tatbeweisen“ und den Wortverdrehungen der Vernehmer machtlos ausgesetzt. Auch starke Charaktere wurden über Wochen hinweg mehr und mehr zermürbt. Ständig gab es Streit um die verfälschenden Verhörprotokolle, bis die oft ermüdeten Gefangenen auch das unterschrieben, was sie nie sagten. Bis 1987 fanden diese Verhöre hinter jenen Fenstern statt, die direkt von der Andreasstraße aus zu sehen sind. Ein Anbau auf der Gebäuderückseite schuf 1987 mehr Platz für die 45 Verhöroffiziere der Abteilung IX und auch für die aus 41 Mann bestehende Schließ- und Haftabteilung.
Reichten die „Beweise“ und Informationen für die Verhöroffiziere aus, dann bekam der Staatsanwalt den „Vorschlag“ für seine Anklageschrift. Die Inhaftierten wurden in Geheimprozessen im benachbarten Bezirksgericht verurteilt und kamen dann in die Strafhaft. Die Erfurter Stasihaft führte drei politische Gefangene allerdings auch direkt in Todeszellen: Muras, Wilhelm und Smolka.

Die alltäglichen Haftbedingungen außerhalb der Verhöre trugen ebenfalls dazu bei, daß die Stasi-Haftzeit von den Betroffenen noch heute als die schlimmste Zeit ihres ganzen Haftschicksals empfunden wird. In den engen Zellen wurden sie ständig beobachtet, sie durften nur in bestimmter Körperhaltung schlafen und nicht mal die Brille oder Zahnbürste behalten. In den Fluren mußten sie sich zur Wand drehen, wenn andere Gefangene vorbeigeführt wurden. Und die vom MfS extra anstelle der Kippfenster installierten Glasbausteine verschlechterten die Licht-, Luft- und Temperaturverhältnisse extrem negativ. Die „Freigangzellen“ unterschieden sich von Haftzellen nur durch das vergitterte offene Dach. Die Gefangenen bekamen ein Minimalessen aus Lebensmitteln, die eigentlich Speiseabfall waren, und jede medizinische Versorgung, die über die reine Existenzerhaltung hinausging, wurde systematisch verweigert. Bei unbotmäßigem Verhalten gab es Schläge mit nassen Handtüchern, Zwangsjacken und Arrestzelle.

Vieles von dem praktizierten Unrecht und dem erlebten Unheil bleibt hinter den Wänden des Zellenhauses für immer verborgen. Einige Kenntnis darüber brauchen wir aber, um Rechtsstaatlichkeit dauerhaft schätzen und sichern zu können.

Ausführliche Infos finden Sie in zwei Publikationen und einer Anti-Abriß-Stellungnahme im Internet:
www.thueringen.de/tlstu