Empfehlungen der Historiker-Komission

für eine Landesförderkonzeption für Gedenstätten und Lernorte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

Thüringen soll die Arbeit von Grenzmuseen, Haftanstalten und Initiativen zur DDR-Diktatur besser aufeinander abstimmen. Das sieht das Landesgedenkstättenkonzept vor, das am Dienstag von einer unabhängigen Expertenkommission vorgestellt wurde. Die Landesregierung billigte die Experten-Empfehlung. Kultusminister Christoph Matschie sagte, der Beschluss sei nicht der Endpunkt, sondern der Beginn weiterer Arbeit.

ehemalige Stasi-U-Haft Andreasstraße Erfurt

Gefängnis: Jugend-Stasi-Knast Andreasstraße

Die Erfurter Andresstraße soll künftig eine herausragende Rolle in der Gedenkstättenlandschaft spielen.

Das Konzept sieht vor, dass das ehemalige Stasi-Gefängnis in der Erfurter Andreasstraße insbesondere ein Erinnerungs- und Lernort für die SED-Diktatur und deren Überwindung werden soll. Die beiden von der Landesregierung gegründeten Stiftungen "Gedenken-Erinnern-Lernen" und die Weimarer "Stiftung Ettersberg" sollen zusammengelegt werden.

Fachkommission

Außerdem soll eine dauerhafte Fachkommission eingerichtet werden, die sowohl Empfehlungen zur Mittelvergabe als auch zur inhaltlichen Ausrichtung der Gedenkstätten geben soll. Für die Gedenkstätten wird eine verlässliche Finanzierung gefordert. Alle bestehenden Gedenkstätten sollen erhalten bleiben. Allerdings seien mehr Kooperationen möglich: So könnten die beiden nah beieinander liegenden Grenzmuseen Teistungen und Schifflersgrund mehr zusammenarbeiten.

Kommissionsvorsitzender Volkhard Knigge sagte, nach 20 Jahren sei es höchste Zeit, die Arbeit von Gedenkstätten und Erinnerungsorten zur DDR-Diktatur auf eine sichere Basis zu stellen. Das Konzept sei eine "Epochenchance":

„Weil sich die Chance auftut und sich der politische Wille gezeigt hat, die kritische Aufarbeitung der SED-Diktatur aber auch das Gedächtnis an Widerstand und Überwindung auf solide zukunftsfähige Beine zu stellen, und zwar für alle bisher daran beteiligten Akteure.“

Knigge verwies drauf, dass Thüringen das einzige Bundesland sei, das nun eine eigene "Landesförderkonzeption für Gedenkstätten und Lernorte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur" habe. Er forderte die Kommunen auf, sich stärker an den Gedenkstätten zu beteiligen. Bislang fehlte deren Engagement fast gänzlich.

stärkere Orientierung auf die Überwindung der Diktatur


Die Gesellschaft für Zeitgeschichte begrüßt ausdrücklich die stärkere Orientierung auf die Geschichte der friedlichen Revolution und die Überwindung der SED-Diktatur. Denn dies hat die Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer der SED-Daiktatur ebenso wie deren Aufarbeitung erst möglich gemacht. Zivilcourage, Engagement und die Vision einer freien und gerechten Gesellschaft waren Antrieb für immer mehr Menschen, die sich teils lange vorher, aber in ganz großer Zahl im Herbst 1989 Mißstände und Menschenrechtsverletzungen aufgedeckt und benannt haben, für deren Veränderung und Beseitigung gekämpft und letztlich das SED-Regime beseitigt haben. Politische Haft, "Zersetzung" und Abschiebung gegen den Willen der Betroffenen in die Bundesrepublik waren Spitzen dieses Systems, aber diese sind ohne die Verästelung der Diktatur im Alltag der DDR nicht zu verstehen. 

Die Kommission

Der Historiker-Kommission gehörten Volkhard Knigge von der Gedenkstätte Buchenwald, Peter Maser von der Universität Münster, Rainer Eckert vom Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig, Klaus-Dietmar Henke von der Universität Dresden, Anna Kaminsky von der Bundesstiftung Aufarbeitung und Hermann Wentker vom Institut für Zeitgeschichte an.

Breit gestreute Gedenkstättenlandschaft

Die Thüringer Gedenkstätten und Aufarbeitungsinitiativen sind in den vergangenen Jahren nahezu ausschließlich dezentral und durch bürgerliches Engagement entstanden. Dazu gehören die Grenzmuseen Schifflersgrund, Mödlareuth, Teistungen und Point Alpha, die Gedenkstätte Amthordurchgang in Gera, das Thüringer Archiv für Zeitgeschichte in Jena, die Geschichtswerkstatt Jena, der Verein Freiheit e.V. in Erfurt, die Gesellschaft für Zeitgeschichte in Erfurt und die Stiftung Ettersberg in Weimar.

GfZ nach einer Meldung auf MDR.de

 

Kritik von der Stasi-Landesbeauftragten

Kritik am Konzept kam von der Landesbeauftragten für Stasi-Unterlagen, Hildigund Neubert. Dem MDR THÜRIGNEN JOURNAL sagte sie, dass eine "Zentralisierung" nichts bringe, da sie in die eigenständige Arbeit der Gedenkstätten vor Ort eingreife. Es sei zu bezweifeln, ob die Gedenkstätten im Land durch eine Art Zentrale angeleitet oder dominiert werden müssten. Gerade für Thüringen sei aber eine dezentrale Struktur wichtig. Für die geplante Erfurter Gedenkstätte in der Andreasstraße befürchte Neubert, dass die Auseinandersetzung mit dem Stasi-Unrecht nun in den Hintergrund trete:

„Die SED-Diktatur ist ja selbstverständlich dabei, wenn man Geschichten von politischen Häftlingen erzählt, sie waren ja nicht die ganze Zeit ihres Lebens im Gefängnis, sondern sie sind aus einem Alltag herausgerissen worden und ins Gefängnis gekommen; man hat die ganze SED-Diktatur drin, wenn man das Leben von politischen Gefangenen erzählt.“

Neubert kritisierte weiter, dass die Expertenkommission ihr Konzept bereits im Herbst des vergangenen Jahres dem Kultusministerium vorgelegt hätte, die Vorlage des Konzeptes sei immer wieder verschoben worden. Sie warf dem Ministerium deshalb wiederholt Verschleppungspolitik vor.

Der Opferverband "Freiheit e.V.", der sich seit Jahren für eine Gedenkstätte in der Erfurter Andreasstraße stark macht, zeigte sich skeptisch. Vorsitzender Joachim Heise befürchtet, dass die Interessen der ehemaligen Stasi-Opfer in der künftigen Stiftung in der Andreasstraße nur ungenügend berücksichtigt werden. Bereits bei der Erarbeitung der Gedenkstätten-Konzeption seien die Opfer überstimmt worden. Falls sich nichts ändere, werde der Verein die Stiftung verlassen.

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