Diskussion zum DDR-Einnerungsort in der Erfurter Andreasstraße

Diskussion zum DDR-Einnerungsort in der Erfurter Andreasstraße

Die Debatte um die Ausrichtung der Gedenkstätte in der Erfurter Andreasstraße ist längst nicht beigelegt. In der Reihe "Thüringen Kontrovers" beleuchtet die "Thürionger Allgemeine" den Streit.

Im Erfurter Haus Dacheröden diskutieren dazu am Dienstag 15.3. ab 19 Uhr Hildigund Neubert , Thüringer Landesbeauftragte für die Stasi-Akten, Gabi Stötzer, einst Stasi-Gefangene, Peter Maser, Theologe der Universität Münster, und Thomas Deufel , Staatssekretär im Ministerium für Bildung.

Hier gibt es schon jetzt das Pro und Contra zur Umgestaltung des ehemaligen Stasi-Gefängnisses in der Erfurter Andreasstraße, das am 4. Dezember 1989 als erste Einrichtung dieser Art in der DDR von Bürgerrechtlern besetzt wurde, zu einem Erinnerungsort zwischen Haft und harmloser Rückschau.

Pro

Prof. Peter Maser (67) ist im Beirat der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur sowie Mitglied der Historikerkommission sowie der Arbeitsgruppe Andreasstraße. Foto: Marco Kneise

1. Zwanzig Jahre nach dem Sturz des DDR-Regimes wird es höchste Zeit, dass auch Erfurt die Aufarbeitung der SED-Diktatur an einem angemessenen Platz findet.

Der Gebäudekomplex der ehemaligen MfS-Untersuchungshaftanstalt in der Andreasstraße bietet nach Rekonstruktion und ergänzenden Baumaßnahmen etwa Neubau eines Veranstaltungsraumes - alle Voraussetzungen für einen Gedenk- und Lernort, der weit über Erfurt hinaus wirken wird.

2. Gedenken und Erinnern werden in der Andreasstraße auf mehrfache Weise zur Geltung gebracht.

Die Haftetage im Obergeschoss soll unkommentiert die Umstände in der MfS-Haft nacherlebbar machen. Informationen zur Geschichte des Hauses und Vollzug der MfS-Haft werden im Eingangsbereich, im Zugang zur Haftetage und in der Dauerausstellung angeboten. Über die Gestaltung des Geländes der Freigangzellen zu einem Ort, der dem öffentlichen und individuellen Erinnern Raum gibt, werden sich die Verbände der ehemaligen Häftlinge noch zu verständigen haben.

Mit einem "Erfahrungsgeschichtlichen Forum" bietet sich für die Verbände der Bürgerrechtler und die Verbände der ehemaligen Häftlinge ein strukturell hervorgehobener Bereich für eigenverantwortete Veranstaltungen, Führungen oder auch Wechselausstellungen an.

3. Dem Lernen soll die erste Etage des Gedenk- und Lernortes verpflichtet sein, wo in einer Dauerausstellung ausgewählte Themen der Geschichte der SED-Diktatur zur Darstellung kommen.

Hier wird es um das MfS als Instrument der SED-Diktatur gehen, aber auch um den Kommunismus als Ideologie, die Situation der Jugend in der DDR, den Diktaturalltag, politische Verfolgung und Strafjustiz, die deutsche Teilung, und - besonders wichtig - politische Opposition und Widerstand in der DDR bis zur Friedlichen Revolution.

4. Verdächtigungen, damit könne ein "kuscheliges DDR-Museum" oder "Gemischtwarenladen geplant sein, sind zu albern, um ernsthaft diskutiert zu werden.

Michael Beleites, ehemals Stasi-Landesbeauftragter in Sachsen, bemerkte, "wenn man nämlich nur über Täter und Opfer spricht, behandelt man die Lebenswirklichkeit von weniger als zwei Prozent der damaligen Bevölkerung". Ulrike Poppe, in gleicher Position in Brandenburg, urteilte, wer behaupte, durch Beschäftigung mit Kultur- und Alltagsthemen "werde die Diktatur weichgespült', versteht die Diktatur nicht". Und Marianne Birthler, Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, wünscht sich zum Abschied von ihrem Amt ein Geschichtsmuseum zur DDR: Eine Gesamtschau wäre sehr wichtig!"

5. Seit 2008 haben sich auf Einladung des Kultusministeriums drei Gremien mit der Zukunft der Andreasstraße befasst.

An den beiden Gremien, die sich mit der Andreasstraße befassten, waren Verbände der Bürgerrechtler und ehemaliger Häftlinge beteiligt, bis sich Freiheit e.V. und VOS bedauerlicherweise selber davon ausschlossen, während die Gesellschaft für Zeitgeschichte an ihrer konstruktiven Mitarbeit festhielt. Jetzt ist es an der Zeit, fernab aller Monopolansprüche in der Andreasstraße einen Gedenk- und Lernort zu ermöglichen, der dem Erinnern Raum gibt, die Würde der Opfer wahrt und die Aufarbeitung der SED-Diktatur als umfassende Hauptaufgabe politischer Bildung auch in Thüringen begreift!

Contra

Hildigund Neubert (50) ist Thüringer Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen und arbeitet ebenfalls in der vom Kultusminister berufenen Arbeitsgruppe zur Andreasstraße mit.
Foto: Marco Kneise

1. Räumliche Beschränkung erfordert thematische Konzentration.

Für die Gedenk- und Bildungsstätte steht nur noch das Zellenhaus der MfS-Haftanstalt zur Verfügung. Die anderen zwei Drittel des Gebäudes sind verkauft. Wechselausstellungen und Bildungsarbeit werden geplant. Für die Dauerausstellung bleiben nur 20 Zellen und ein Seminarraum, insgesamt unter 300 Quadratmeter. Ein umfassendes Museum zur SED-Diktatur ist nicht mehr möglich.

2. Ausstellungen sind Anschauungsstücke, keine akademischen Vorträge.

Das Hafthaus prägt mit der unverkennbaren Zellenstruktur die Erwartungen der Besucher. Die Kunst einer guten Ausstellung besteht darin, diese aufzunehmen und den Bildungsauftrag dennoch zu erfüllen. Menschen, Gegenstände, Originaldokumente, Seh- und Hörangebote sprechen die Betrachter an. Erst im zweiten Impuls lesen sie Texte.

3. Die Lernforschung sagt: Nur emotional gestütztes Wissen trägt zur Wertebildung bei.

Die stärkste Impression der Andreasstraße ist die original erhaltene Haftetage, die letzte in Thüringen. Sie muss mit denkmalpflegerischer Sorgfalt bewahrt werden. Es darf hier auch aus Respekt vor diesem Ort des Leidens keine Überfremdung durch belehrende Erklärungen geben.

4. Lebensgeschichtliche Erzählweise "verhindert binäre Simplifikation, als habe es in der DDR nur Repression und Opposition gegeben".

Die Häftlingsverbände VOS e.V. und Freiheit e.V. haben mit Unterstützung meiner Behörde eine an Biografien ehemaliger Gefangener orientierte Ausstellung vorgeschlagen. Lebensgeschichten, die alle mit der Andreasstraße zu tun haben, umfassen zahlreiche Aspekte von DDR-Alltag und -Geschichte. Es gab zu allen Zeiten politische Gefangene aus allen Schichten der Bevölkerung. Außerdem soll es Räume zur friedlichen Revolution im Bezirk Erfurt und zu den Stasibesetzungen geben, auch über die Verhöroffiziere und die politische Justiz gibt es Informationen. Eine solche Ausstellung ist keineswegs eindimensional oder wie es verächtlich heißt "nur eine Haftgedenkstätte".

5. Die Erfurter Gedenkstätte muss sich in die Aufarbeitungslandschaft einpassen, sie darf weder anderen Einrichtungen Themen wegnehmen noch Konkurrent um Fördergelder sein.

Die Grenzmuseen, die Gedenkstätte in Gera, die Vereine in Jena sie alle brauchen eine sichere Perspektive. Die Knigge-Kommission hat für keinen von ihnen eine Verbesserung der angespannten Personal- und Finanzsituation vorgeschlagen. Allein die Erfurter Andreasstraße soll mehr Geld bekommen, als alle anderen sieben Institutionen zusammen. Themen, die bei der BStU und in den anderen Museen bearbeitet werden, sollen in Erfurt nicht wiederholt werden.

In der von Staatssekretär Deufel berufenen Konzeptarbeitsgruppe wurden die Vorschläge der beiden Häftlingsvereine ignoriert. So schien ihre Anwesenheit nur ein legitimatorischer Vorwand zu sein. So blieben sie auch der letzten Sitzung am 4. März fern. Staatssekretär Deufel unterbreitete kein Angebot zu einer Veränderung. Er hat die Rumpfkommission gegen meinen Protest ein Konzept verabschieden lassen, mit dem die Vertreter der Gefangenen nicht einverstanden sind. Tut sich nichts, dann entsteht in Erfurt die weltweit erste Gedenkstätte gegen die Opfer eines Unrechtsortes.

14.03.11 / TA