Der Beutelsbacher Konsens

ist das Ergebnis einer Tagung der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg zusammen mit Politikdidaktikern unterschiedlicher parteipolitisch oder konfessionell bedingter Lager im Herbst 1976 in Beutelsbach. Der Konsens legt die gemeinsamen Grundsätze für politische Bildung fest. Dabei wurden drei Grundprinzipien des Politikunterrichts festgelegt.

Gemäß dem Überwältigungsverbot (auch: Indoktrinationsverbot) dürfen Lehrende Schülern nicht ihre Meinung aufzwingen, sondern sollen Schüler in die Lage versetzen, sich mit Hilfe des Unterrichts eine eigene Meinung bilden zu können. Dies ist der Zielsetzung der politischen Bildung geschuldet, in den Schülern mündige Bürger heranzubilden.

Das Gebot der Kontroversität (auch: Gegensätzlichkeit) zielt ebenfalls darauf ab, den Schülern freie Meinungsbildung zu ermöglichen. Der Lehrende muss ein Thema kontrovers darstellen und diskutieren, wenn es in der Öffentlichkeit kontrovers erscheint. Seine eigene Meinung und seine politischen wie theoretischen Standpunkte sind dabei für den Unterricht unerheblich und dürfen nicht zur Überwältigung der Schüler eingesetzt werden.

Das Prinzip Schülerorientierung soll Schüler in die Lage versetzen, die politische Situation der Gesellschaft und ihre eigene Position zu analysieren und sich aktiv am politischen Prozess zu beteiligen, indem sie „nach Mitteln und Wegen [zu] suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen.“[1]

Von der Bundeszentrale für politische Bildung anerkannte Bildungsträger müssen diese drei Prinzipien anerkennen, um förderungsfähig zu sein.

(Wikipedia)

Der Beutelsbacher Konsens im Wortlaut

I. Überwältigungsverbot.

Es ist nicht erlaubt, den Schüler - mit welchen Mitteln auch immer - im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der "Gewinnung eines selbständigen Urteils" zu hindern . Hier genau verläuft nämlich die Grenze zwischen Politischer Bildung und Indoktrination. Indoktrination aber ist unvereinbar mit der Rolle des Lehrers in einer demokratischen Gesellschaft und der - rundum akzeptierten - Zielvorstellung von der Mündigkeit des Schülers.

2. Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen.

Diese Forderung ist mit der vorgenannten aufs engste verknüpft, denn wenn unterschiedliche Standpunkte unter den Tisch fallen, Optionen unterschlagen werden, Alternativen unerörtert bleiben, ist der Weg zur Indoktrination beschritten. Zu fragen ist, ob der Lehrer nicht sogar eine Korrekturfunktion haben sollte, d. h. ob er nicht solche Standpunkte und Alternativen besonders herausarbeiten muss, die den Schülern (und anderen Teilnehmern politischer Bildungsveranstaltungen) von ihrer jeweiligen politischen und sozialen Herkunft her fremd sind.

Bei der Konstatierung dieses zweiten Grundprinzips wird deutlich, warum der persönliche Standpunkt des Lehrers, seine wissenschaftstheoretische Herkunft und seine politische Meinung verhältnismäßig uninteressant werden. Um ein bereits genanntes Beispiel erneut aufzugreifen: Sein Demokratieverständnis stellt kein Problem dar, denn auch dem entgegenstehende andere Ansichten kommen ja zum Zuge.

3. Der Schüler muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren,

sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen. Eine solche Zielsetzung schließt in sehr starkem Maße die Betonung operationaler Fähigkeiten ein, was eine logische Konsequenz aus den beiden vorgenannten Prinzipien ist. Der in diesem Zusammenhang gelegentlich - etwa gegen Herman Giesecke und Rolf Schmiederer - erhobene Vorwurf einer "Rückkehr zur Formalität", um die eigenen Inhalte nicht korrigieren zu müssen, trifft insofern nicht, als es hier nicht um die Suche nach einem Maximal-, sondern nach einem Minimalkonsens geht.

Quelle: Hans-Georg Wehling in: Siegfried Schiele/Herbert Schneider (Hrsg.): Das Konsensproblem in der politischen Bildung. Stuttgart 1977, S.179/180 

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Inhalte des Beutelsbacher Konsens

Der Beutelsbacher Konsens beinhaltet drei Grundsätze: Überwältigungsverbot, Kontroversitätsgebot und Interessenlage der Schüler.

Überwältigungsverbot (auch Indoktrinationsverbot genannt)

„Es ist nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinn erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der Gewinnung eines selbständigen Urteils zu hindern.“ (H.G. Wehling 1977, Konsens a la Beutelsbach, In: Schiele S./Schneider H. (Hg.):Das Konsensproblem in der politischen Bildung. Stuttgart 1977).

Der Leitgedanke des ersten Grundsatzes basiert auf der regulativen Idee Kants, dass der „Mensch Zweck an sich“ und „über jeden Zweck erhaben sei“ (I. Kant), und dem des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.
Für die Ziele im Unterricht bedeutet dies, dass die jungen Menschen in ihrer Meinung nicht beeinflusst, sondern dazu angeregt werden sollten ihren Verstand und ihre Urteilskraft zu verwenden. Beide Gedanken befassen sich mit der Urteilskraft und der freiheitlichen Selbstbestimmung des Menschen. Das bedeutet für den Erziehungs- und Bildungsbereich, dass der Schüler über die politischen Inhalte eine eigene Meinung bilden sollte und in seiner Urteilskraft nicht gehindert oder manipuliert werden darf.
Die Lehrpläne werden seitdem offener und pluraler ausgelegt. Daraus ergibt sich für die Schüler die Möglichkeit innerhalb eines dialogischen Verfahrens verschiedene Meinungen zu erkennen und auszuarbeiten. Für die Unterrichtspraxis bedeutet dies, eine unbedingte Transparenz der Inhalte und den direkten Einbezug der Schüler bei der Bearbeitung der Lehrinhalte.
Eines muss allerdings kritisch angemerkt werden: Der Einzug von extremen Parteien in Parlamente macht uns erneut auf die Brisanz des ersten Grundsatzes aufmerksam. Demokratisierung bedarf einer Möglichkeit zur freien Urteilsbildung, die in Form der politischen Bildung im Unterricht frühzeitig geschult werden kann. Auf keinen Fall darf politische Instrumentalisierung an dieser Stelle zugelassen werden, um demokratische Werte nicht zu gefährden. Politischer Analyse gewinnt deshalb Werte-Bildung und -Vermittlung. Im Gegensatz zum Ethikunterricht, steht beim politischen Unterricht am Anfang das politische Problem und politische Aufgaben, nicht der Wert an sich, welcher erörtert wird. Eine rationale und kritische Urteilsbildung erfolgt also über den adäquaten Umgang mit Fakten und eine dialogische Auseinandersetzung mit der Meinungsvielfalt.
Das Überwältigungsverbot verhindert somit die Indoktrination und rückt die Zielvorstellung von einem mündigen Schüler in den Fokus politischer Bildung. Angesichts dieser anspruchsvollen Zielvorstellung obliegt dem Lehrer besondere Sorgfalt in der Planung und der Umsetzung der Lehrinhalte in der Unterrichtspraxis.

Kontroversitätsgebot

„Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muß auch im Unterricht kontrovers erscheinen.“ (H.G. Wehling 1977, Konsens a la Beutelsbach, In: Schiele S./Schneider H. (Hg.):Das Konsensproblem in der politischen Bildung. Stuttgart 1977).

Das Kontroversitätsgebot wirkt gemeinsam mit dem Überwältigungsverbot. Es enthält die Forderung unterschiedliche Standpunkte aufzuzeigen und alternative Optionen zu erläutern. Zugleich ist dieser zweite Grundsatz der Weg zur Ausschließung von Indoktrination. Werden bestimmte Standpunkte nicht erwähnt oder erläutert, dann wird mit diesem Vorgehen ein bestimmtes Urteil suggeriert. Dagegen ermöglicht die Darlegung von Alternativen eine kritische Auseinandersetzung und eine vertiefte Bearbeitung des Themas. Herbert Schneider macht darauf aufmerksam, dass es für den Lehrer sehr schwierig ist bei der aktuellen Komplexität der politischen Themen alle Kontroversen auszuarbeiten. Vielfach bedarf es spezifischen Fachwissens, um das Thema in der Vollständigkeit bearbeiten zu können. An dieser Stelle darf man sich zurecht die Frage stellen, inwieweit man die relevanten Fachwissenschaften in die Planung von Unterrichtsinhalten einbezieht, wie man Unterschiede erkennt, sie einordnet und bewertet. Siegfried Schiele schreibt dazu, dass man die politischen Inhalte nicht ins Detail ausdehnen kann. Deshalb schlägt er als grobe Orientierung für die Unterrichtsinhalte die Konfliktlinien der Parlamente vor; unter der Annahme, dass alle wichtigsten Kontroversen auf Landes-, Bundes- und Europa-Ebene in den Parlamenten ausgetragen werden. Ein weiteres Problem stellt die Gewichtung der verschiedenen Positionen dar. Können extreme Positionen wie z.B. Positionen, die Gewalt als legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung vertreten, gleichwertig mit demokratischen Positionen behandelt werden? Auch hier kann die Orientierung an den parlamentarischen Positionen hilfreich sein und dennoch das Problem nicht vollständig lösen; vor allem wenn extrem gerichtete Parteien in die Parlamente einziehen. Bei allen kritischen Anmerkungen und Bedenken, bleibt der Hauptgedanke des Kontroversitätsgebots im Unterricht die gemeinsame Ausarbeitung von unterschiedlichen Lösungswegen für politische Probleme.

Analysefähigkeit/ „Interessenlage der Schüler“

„Der Schüler muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren, sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen.“(H.G. Wehling 1977, Konsens a la Beutelsbach, In: Schiele S./Schneider H. (Hg.):Das Konsensproblem in der politischen Bildung. Stuttgart 1977).

Der dritte Grundsatz wird in seiner Relevanz unterschiedlich bewertet. Die Einschätzungen reichen von unbeachtet bis zu erklärungsrelevant. In der Tat stellt sich zunächst die Frage, was mit „Interesse“ im Beutelsbacher Kontext gemeint ist. Nach Siegfried Schiele wird der Begriff zunächst aus der pädagogischen Perspektive heraus erklärt - über die Lehrer-Schüler-Beziehung. Die gelungene Beziehung des Lehrers zu den Schülern ermöglicht, das Interesse am Unterricht und an den Themen zu wecken, was wiederum die Schüler dazu animiert, selbständig politische Probleme in den Blick zu nehmen, sie zu analysieren und zu einer selbständigen Urteilsbildung zu kommen. Aus der politischen Perspektive heraus ist das wichtigste Ziel der politischen Bildung eigene Interessenlagen zu entwickeln und den Schülern die Fähigkeiten zu vermitteln, diese erkennen zu können. In diesem Zusammenhang fordert Herbert Schneider eine Ergänzung des dritten Beutelsbacher Grundsatzes. Er sieht in diesem Ansatz das Fortbestehen des aktuellen Trends der Individualisierung, als Gegenpol dazu sollte das Wohl der Gesamtheit berücksichtigt werden. Die Konzentration auf Eigeninteresse führt zur Überbetonung der Selbstentfaltungswerte, welche die Sozialverantwortung im gesamtgesellschaftlichen Kontext unberücksichtigt lassen.

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Politische Bildung in den Schulen

Grundsatzerlaß zum Unterrichtsprinzip (Österreich)

 Politische Bildung vollzieht sich - auf der Grundlage der obengenannten Wertvorstellungen - in drei Bereichen, die einander wechselseitig bedingen:

1.    Politische Bildung ist Vermittlung von Wissen und Kenntnissen: Der Schüler soll einen Einblick in die Ordnungen und die verschiedenen Ausformungen des politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens gewinnen. Er soll Sachinformationen über die historischen und gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen dieser Ordnungen erhalten und die in ihnen wirkenden Kräfte und Interessen erkennen.

2.    Politische Bildung ist Entwicklung von Fähigkeiten und Einsichten: Der Schüler soll die Fähigkeit zum Erkennen von politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Zusammenhängen und zu kritischem Urteil gewinnen. Die Einsicht in die einzelnen Faktoren gesellschaftspolitischer Entscheidungsfindung (die Träger von gesellschaftlicher, insbesondere von politischer Verantwortung, ihre Ziel- und Wertvorstellungen, ihre Interessen; die Entscheidungs- und Handlungsabläufe; die Machtverteilung) soll die Grundlage zu einer eigenen Meinungsbildung sein, um die persönliche Aufgabe bei der Gestaltung unserer Gesellschaft wahrnehmen zu können.

3.    Politische Bildung ist Weckung von Bereitschaft zu verantwortungsbewußtem Handeln: Politische Bildung will die Bereitschaft des Schülers wecken und fördern, politische Vorgänge aktiv mitzugestalten. Der Schüler soll bereit sein, Entscheidungen, die er nach eigenständigen Wertauffassungen getroffen hat - gegebenenfalls auch unter Belastung und unter Hintansetzung persönlicher Interessen - in politisch verantwortungsbewußtes Handeln umzusetzen. Der Auftrag zu Politischer Bildung wendet sich an alle Lehrer und bedeutet, daß Politische Bildung als Unterrichtsprinzip im Rahmen der durch Schulart, Schulstufe und Unterrichtsgegenstand gegebenen Möglichkeiten im Sinne der in Teil II angegebenen Zielvorstellungen wirksam wird. Dabei sind die Chancen, die sich durch den fachlichen Auftrag des Lehrers ergeben, ebenso zu nützen wie jene, die sich von der pädagogischen Funktion her anbieten. Ein planvolles Zusammenwirken aller Lehrer ist anzustreben.

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