Überlegungen zu einem Konzept für die Bildungs- und Gedenkstätte in der ehemaligen MfS-U-Haft Andreasstraße Erfurt [1]

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Das Konzept ist von den Aufgaben „Gedenken, Erinnern, Lernen“ bestimmt.

Die Lage (im Zentrum der Landeshaupt­stadt Erfurt) und die Geschichte (MfS-U-Haft, MfS-Bezirks­verwaltung im angren­zenden Gebäude und die Besetzung der Bezirks­verwal­tung als erste am Morgen des 4. 12. 1989 sowie die nachfolgende Nutzung der U-Haft als Lager für die MfS-Akten) des Gebäudes in der Andreas­straße fordern dazu heraus, hier einen herausragenden Ort der Ausein­ander­setzung mit der SED-Diktatur und ihrer Überwindung in der friedlichen Revolution 1989/90 in Thüringen entstehen zu lassen, der darüber hinaus der zentralen Aufgabe der Demokratieerziehung verpflichtet ist.

Damit ergibt sich die einzigartige Gelegenheit, einen authentischen Ort als Gedenkstätte und darüber hinaus für die historische Aufarbeitung und als demokratischen Lernort zu nutzen. Diese Mehrdimensionalität ist eine Chance, die wir uns nicht entgehen lassen sollten. In Anlehnung an einen Vorschlag der Stiftung Ettersberg schlagen wir ein Drei-Säulen-Konzept vor.

Die erste Säule - Gedenken - steht für die Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur und die Aufklärung über ihre Herrschaftsmechanismen in den unter­schiedlichen Zeiträumen. Dabei soll dem Repressionsapparat und dem MfS als „Schild und Schwert der Partei“ gebührender Raum gegeben werden. Die Erinnerung an Stasi-Haft und die unterschiedlichen Opfer der Diktatur soll wach gehalten werden. Hier soll sich ein Erfahrungs­geschichtliches Forum entfal­ten, mit Zeitzeugenarbeit ehemaliger Häftlinge und politisch Verfolgter, mit der Darstellung von Haftbedingungen, der Erinnerung von Opfern und eigenen Veranstaltungen im Hause. Es sollen aber auch die anderen Zwangsinstitutionen über das MfS und seine Opfer hinaus in den Blick genommen werden: Enteig­nun-gen, Um­siedlungen, Kollek­tivierungen, Zwangsadoptionen, Aus­bürgerungen usw. sowie – genauso wichtig - die Herrschaft und das Wirken der Diktatur im Alltag beleuchtet werden: Der ständige Erwartungsdruck nach Anpassung und Ergeben­heitsbeweisen für den Staat und die Partei, der „freiwillige“ Zwang auf Mitgliedschaft begann bei den Kindern in der staatlichen Pionier-  und FDJ-Organisation, das daraus folgende Leben mit „zwei Gesichtern“, das allabendliche „Auswandern“ über Fernsehen und Rundfunk in die Bundesrepublik sind kennzeichnend für die relative Stabilität und das alltägliche „Funktionieren“ der Diktatur in der späteren DDR.

Die zweite Säule – Erinnern - soll Opposition und Widerstand in der DDR darstellen, die letztlich in der friedlichen Revolution 1989/90 und in der Besetzung der MfS-Bezirksver­wal­tung am 4. 12. 1989 mündeten und zur Überwindung der Diktatur führte. Dabei ist den verschie­denen Facetten der „Basis­grup­pen“ in der Friedens-, Umwelt-, Eine-Welt-, Frauen- und Menschenrechts­bewe­gung Raum zu geben, auch die ständig wachsende Zahl von „Ausreise-Antragstellern“ mit ihren unterschied­lichen Motivationen, insbesondere aber der „Friedlichen Revolution 1989/90“. 

Die dritte Säule - Lernen - steht für die Reflektion der Konsequenzen aus der DDR-Diktatur und ihrer Überwindung für eine freiheitliche Demokratie. Hier sollen die Erfolgsbedin­gungen und die Gefährdungen junger Demokratien diskutiert werden, die Bedeu­tung zivilgesellschaftlicher Strukturen, von Zivilcourage, freier Wahlen, eines freien Parteienwettbewerbs und eines offenen politischen Willensbildungs­prozesses etc. Über die Demokratie als Herrschafts- und als Lebensform soll praxisnah aus der Perspektive junger Menschen nachge­dacht werden. Man wird aber auch die ganze Problematik demokratischer Transformationspro­zes­se von der Diktatur zur Demo­kratie beleuchten müssen, die vielfach noch lebendig ist, beginnend mit dem Weiter­wirken autoritärer Traditionen und Mentalitäten bis zur Entwicklung einer demokra­tischen politischen Kultur und der sie tragenden Initiativen und Institutionen der freiheitlich-pluralisti­schen Demokra­tie. Auf diese Weise soll die Andreasstraße gleichermaßen zu einem Ort der Diktaturaufarbeitung und der Demokratieer­zieh­ung, zu einem Lernort für die langfristige Sicherung der Demokratie in Thüringen werden.

 

Die Gedenkstätte wird im wesentlichen alle drei Etagen des Westflügels der ehemaligen U-Haft sowie weitere Räume im Erdgeschoss sowie einen Neubau eines größeren Veranstaltungsraumes und des Foyers umfassen.

Die zu erheblichen Teilen original erhalten gebliebene Haftetage im 2. OG erfordert deren Erhal­tung und eine sensible und zurück­haltende Gestaltung zum Ort des  Gedenkens an die Opfer der Diktatur, ergänzt mit dem Hinweis auf die vorüberge­hende Nutzung als Lager zur Erhaltung der MfS-Akten.

Im den anderen Etagen sollen u.a. durch eine Dauerausstellung, kombiniert mit Wechselaus­stellungen zu Spezialthemen, zu den Aspekten der o.g. drei Säulen informiert und zur weiteren Auseinandersetzung angeregt werden. Dabei zwingt die Fülle der Themen zu einer strengen Auswahl in der Dauerausstellung, ohne aber die Breite der Thematik zu vernachlässigen; zugleich erfordert diese Fülle die laufende Erarbeitung bzw. Einbeziehung von Sonder- und Wanderaus­stellun­gen und Möglichkeiten, sich weitere Materialien – im Bildungsbereich - zu erschließen.

Für die Bildungsarbeit sind geeignete Räume und Möglichkeiten der Arbeit mit Gruppen, insbesondere auch Jugendgruppen, für Einzelpersonen zur individuellen Recherche und intensiven Befassung, sowie für Veranstaltungen in kleinerem Format zu schaffen.

Die wissenschaftliche Begleitung und Fundierung sind Voraussetzung für eine erfolgreiche Arbeit, die auch den Generationswechsel im Blick hat. Die pädagogische Bildungsarbeit muss professionellen Ansprüchen genügen, um den unterschiedlichen Zielgruppen gerecht werden zu können und nachhaltig Einsichten und Erkenntnisse vermitteln zu können. Die Einbeziehung von Zeitzeugen der Haft und von Widerstand und Opposition und der „oral history“ ist in allen Bereichen notwendig.

Eine Bereitstellung von Arbeits- und Beratungsräumen über die unmittelbare Tätigkeit der Bildungs- und Gedenkstätte Andreasstraße Erfurt hinaus auch für die beteiligten Initiativen und Vereine sollte im Rahmen der Möglichkeiten erfolgen.

Matthias Sengewald
Gesellschaft für Zeitgeschichte e.V.
Erfurt, 8. März 2010


[1] Diese Überlegungen zum Konzept der Bildungs- und Gedenkstätte in der ehema­ligen MfS-U-Haft Andreasstraße Erfurt gründen sich auf dem im Auftrag der Gesellschaft für Zeitgeschichte 2007 erarbeiteten Konzept, den inhaltlichen Empfehlungen des Expertengremiums vom September 2008 sowie Überlegungen der Stiftung Ettersberg.

siehe auch

Die alltägliche Erziehungsdiktatur in der DDR

die erste Stasi-Besetzung am 4. 12. 1989 in Erfurt

Zeittafel der friedlichen Revolution