Konzeption der Gedenk- und Bildungsstätte in der ehemaligen MfS-U-Haft „Andreasstraße“ in Erfurt

Dr. Peter Wurschi

Zusammenfassung

 

Begründung

Das Gefängnis in der Andreasstraße in Erfurt ist ein Symbol der Unterdrückung und der Freiheit. Von 1952 bis 1989 diente es auch dem Ministerium der Staatssicherheit der ehemaligen DDR als Untersuchungshaftanstalt und wurde somit zu einem Ort brutaler Unterdrückung und politischer Strafjustiz. Zugleich war die unmittelbar angrenzende Bezirksverwaltung des MfS in Erfurt die erste auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, die am 4. Dezember 1989 von Erfurter Bürger/innen gestürmt und besetzt wurde. Dabei war auch die Untersuchungshaftanstalt einbezogen.

Ausgangspunkt der Initiativen zur Errichtung einer Gedenk- und Bildungsstätte war der bevorstehende Abriss des historischen Gebäudes im Jahr 2004. Nachdem der Abriss durch engagierte Erfurter Bürger/innen mit Unterstützung des Landesamtes für Denkmalschutz und Archäologie, der Thüringer Landesbeauftragten für Staatssicherheitsunterlagen sowie der Gesellschaft für Zeitgeschichte in Erfurt verhindert worden war, setzten die ersten Überlegungen zur Nutzung des Gebäudes als Gedenk- und Bildungsstätte ein. In den Jahren 2004 bis 2006 fanden in dem unveränderten und seit 1989 fast gänzlich unbetretenen Zellentrakt der Stasi- Untersuchungshaftanstalt drei saisonale Kunstausstellungen unter dem Titel EINSCHLUSS statt.

Die drei EINSCHLUSS - Ausstellungen stießen sowohl unter den ehemaligen Häftlingen und Opfern politischer Gewalt als auch unter der Erfurter Bevölkerung auf großes Interesse und Zuspruch. Sie waren es auch, die den entscheidenden konzeptionellen Ansatzpunkt einer zu errichtenden Gedenkstätte in der Andreasstraße setzten.

 

Arbeitsgruppe, Erhalt des authentischen Ortes und Leitgedanken des Gedenkstättenkonzeptes

Im Gefolge der EINSCHLUSS - Ausstellungen gründete sich eine Arbeitsgruppe, um sich für die Errichtung einer Gedenkstätte „Andreasstraße“ in Erfurt einzusetzen. Die Arbeitsgruppe bestand aus Mitgliedern der oben bereits erwähnten Thüringer Landesbeauftragten für Staatssicherheitsunterlagen sowie der Gesellschaft für Zeitgeschichte, aus engagierten ehemaligen politischen Häftlingen, die sich inzwischen zu einem eigenen Verein „Freiheit e.V.“ zusammengeschlossen haben und schließlich aus dem Kurator der EINSCHLUSS-Projekte. Die Überlegungen zur Errichtung einer Gedenkstätte gingen von drei grundsätzlichen und im vorliegenden Konzept verankerten Festlegungen aus.

 

1. Der authentische Ort im Dreiklang von Gedenken, Erinnern und Lernen

Die zu errichtende Gedenk- und Bildungsstätte „Andreasstraße“ soll dem Anspruch nach gewährleisten, dass dort ein Dreiklang von Gedenken, Erinnern und Lernen entsteht. Diesem Dreiklang ist das vorliegende Konzept verpflichtet.

Es soll gewährleistet werden, dass der authentische Ort auf eine sensible, historisch verantwortbare und architektonisch behutsame Weise konserviert wird. Insbesondere der original erhaltene Zellentrakt in der zweiten Etage des Gebäudes soll unverändert und sorgfältig konserviert der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden - und so Zeugnis vom Umgang des DDR-Staates mit den Menschenrechten ablegen.

Für die Betroffenen, die Opfer der SED-Diktatur, soll die Gedenk- und Bildungsstätte „Andreasstraße“ zu einem Ort des Erinnerns werden. Im Konzept ist dieser Anspruch durch einen von den Betroffenen ausgehenden, biografischen Zugang in der Dauerausstellung, die weitere wissenschaftliche Erforschung von Einzelschicksalen und einem zu gründenden Zeitzeugenbeirat für die Gedenk- und Bildungsstätte vorgesehen.

Für ein breites deutsches und internationales Publikum - vor allem aber für die nachwachsenden Generationen - soll die Gedenk- und Bildungsstätte „Andreasstraße“ ein Ort des Gedenkens, Erinnerns und Lernens der Geschichte der zwei Diktaturen in Deutschland werden. Dieser Anspruch soll vorwiegend über ein intensives, thematisch differenziertes und mit unterschiedlichen Kooperationspartnern zu gestaltendes Bildungsprogramm verwirklicht werden.

 

2. „Gedenkstätte in progress“

Dem kunstgeschichtlichen Begriff eines „work in progress“ angelehnt, beschreibt eine Gedenkstätte in progress einen Gedenk- und Bildungsort, der in der Ausgestaltung der Ausstellung und in den Themen ihrer politischen Bildungsarbeit ex ante keine abgeschlossenen und dauerhaften Festlegungen trifft. Eine so konzipierte Gedenk- und Bildungsstätte soll in die Lage versetzt werden - mit Zeitzeugen, Wissenschaftler/innen, Künstler/innen, Jugendlichen und Besucher/innen - im permanentem Gespräch zu bleiben, eine fortlaufende gedankliche Weiterentwicklung der Ausstellungsinhalte zu erarbeiten, eine kooperative und interdisziplinäre Zusammenarbeit mit der Wissenschaft und den Trägern der politischen Bildung zu unterhalten und eine kurzfristig veränderbare und flexibel zu handhabende Ausgestaltung der Ausstellungsräume - technisch, wie inhaltlich - zu gewährleisten.

 

3. Politische Bildung als Garant nachhaltiger Gedenkstättenarbeit

Das Ausstellungskonzept wird einen mehrdimensionalen Zugang zur Vergangenheit pflegen und sich nicht auf die historische Aufarbeitung der SED - Diktatur beschränken. Die pädagogische Arbeit ist diesem Anspruch nach interessengeleitet, diskursiv, ergebnisoffen zu gestalten und strebt in ihren Themen eine lebensweltliche Anbindung an. Neben einem sich logisch und übersichtlich aufbauenden Rundgang durch die Gedenkstätte, der den Individualbesucher/innen eine Orientierung und Möglichkeit des intensiveren Studiums gibt, ist die Zielrichtung der Gedenk- und Bildungsstätte „Andreasstraße“, dass wissenschaftlich fundierte und intensiv betreute Projektarbeiten angeboten werden. Mittels dieser wird die Gedenk- und Bildungsstätte zum Lernort. Die Zusammenarbeit mit den Zeitzeugen ermöglicht eine Vertiefung der Themen durch die lebendige Vermittlung der geschichtlichen Vergangenheit und der persönlichen Betroffenheit. Die Ergebnisse der Projektarbeiten sollen die Ausstellung reflektieren, erweitern und neu gestalten.

Für diese Projektarbeiten ist eine intensive und professionelle pädagogische Arbeit vorgesehen, die sich explizit als flexibel integrierbares Angebot für die Träger politischer Bildung versteht.

Das vollständige Konzept können Sie bei uns beziehen.