In Berücksichtigung der drei erarbeiteten thematisch perspektivischen Zugänge und der einzelnen Themen läßt sich für die Ausstellung folgende Dramaturgie entwickeln:

Im Foyer des Gedenk‐ und Lernortes wird die Diktaturgeschichte im Überblick anhand einzelner weniger Daten und Bilder dargestellt. Vermittelt wird der Charakter der SED‐Diktatur und der Führungsanspruch einer Partei, die ihre Macht von Beginn an mit allen Mitteln durchsetzte und zu erhalten suchte. Der Überblick dient den Besuchern als Wissenshintergrund für die folgende Rezeption der Ausstellung und wird  deshalb an einem Ort im Foyer präsentiert, der allen Besuchern „ins Auge sticht“.

Im zweiten Obergeschoss begegnet dem Besucher der authentische Ort pur, ohne Überformungen, ohne Ausstellungstafeln. Als ein begehbares Objekt bleibt die gesamte Etage im derzeitigen Zustand. Sie vermittelt so die Unterdrückung Tausender Menschen in ihrer ortsgebundenen Geschichte der U‐Haft in der Andreasstraße. Ein langer Gang, viele Zellentüren  mit Spionen und Klappen. Gang und Zellen in authentischem Zustand, manche mit Toilettenbecken, manche mit Spiegeln, manche mit mehreren inzwischen frei gelegten Anstrichen und Tapeten. Und eine mit Gittern, die die ohnehin schon enge Zelle noch einmal in zwei Bereiche teilen. Die Wirkung dieses großen begehbaren Raumobjektes soll in dieser Atmosphäre erhalten bleiben, der Blick durch den gesamten Gang und die Zellentüren soll frei und ungestört von Informationsträgern bleiben.

Betextet werden die Zugangsbereiche zur Etage, die auch mit Touchscreens zum Abrufen weiterer Informationen zur U‐Haft Andreasstraße ausgestattet werden. Zusätzlich sollen Objekttexte an den authentischen Ausstattungsteilen des Zellentraktes direkt am Exponat Auskunft über Beschaffenheit und Funktion geben.[1]
Führungen durch Zeitzeugen werden deren persönliche Perspektive vermitteln.[2]

Aus zwei Perspektiven wird die SED‐Diktatur im ersten Obergeschoss vermittelt. [3] Instrumente und Wirkungsweisen der Unterdrückung auf der einen und der Wille und Versuch, frei und selbstbestimmt zu leben, auf der anderen Seite. Die Darstellung der Einzelthemen „Das MfS – Schild und Schwert der Partei“, „Repression, politische Verfolgung, Strafjustiz, Haft“ und „Jugend in der SED‐Diktatur“ erfolgen einerseits aus dem Selbstverständnis der SED und ihrer führenden Rolle in der DDR, den staatlichen Organen der Justiz und der Polizei sowie den Massenorganisationen und Betrieben sowie des Ministeriums für Staatssicherheit mit seinen hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern. Andererseits erfolgen sie aus dem Blick von Menschen, die mit diesen Organen in ein Verhältnis treten mussten: in ein Verhältnis der Anpassung, der Duldung, des individuellen Entziehens (innere Emigration) oder in eines des Widerstehens und der Selbstbehauptung. In diesem Konfliktbereich und Wechselverhältnis bewegen sich die Darstellungsformen der Themen im ersten Obergeschoss, die durch die Darstellung von „Einzelschicksalen“ ergänzt werden, wodurch exemplarisch das wiederholte Eingreifen, Kontrollieren, Verhaften, aber auch das sich Behaupten, Widerstehen und die Zivilcourage im Laufe eines Lebens darstellbar werden.

Die Besucher bekommen damit das Selbstverständnis und die Wirkungsweise einer Diktatur ebenso vermittelt wie die in den engen Grenzen von Herrschaftsanspruch und Machtausübung der Einheitspartei sich behauptenden individuellen Lebensvorstellungen der Menschen, die dafür häufig Reibungspunkte und Konflikte in Kauf nehmen mussten. Viele Menschen wurden inhaftiert und haben jahrelang im Gefängnis gesessen, einige haben ihre Selbstbehauptung und ihren Widerstand mit dem Leben bezahlt.

Das Erdgeschoss präsentiert die Themen „Widerstand und Opposition“ und „Friedliche Revolution“, die hauptsächlich aus der Perspektive der Akteure, die Widerstand geleistet und in Opposionsgruppen gearbeitet haben, sowie derjenigen, die schließlich die Freiheit in der Friedlichen Revolution im Herbst 1989 und bei der Besetzung am 4. Dezember 1989 ganz konkret für sich und für ein ganzes Land erkämpft haben, erzählt werden.

Im Unterschied zum Arbeitsergebnis der Projektgruppe, das unter Punkt 5 das Ausstellungsthema „Opposition, Widerstand und Friedliche Revolution“ aufruft, erscheint der Autorin die Trennung in zwei Themen als inhaltlich sinnvoll und besser vermittelbar. Daher werden im Erdgeschoss zwei Themen bearbeitet – Opposition und Widerstand (über die gesamte Zeit der DDR) und Friedliche Revolution (einsetzend im Sommer 1989 mit der großen Ausreisewelle und der Bildung neuer Parteien und Bewegungen in der DDR).

Somit klingt ein Ausstellungsbesuch mit der Erlangung der Freiheit und demokratischer Rechte durch die Bürger eines bis dahin unfreien Landes aus.

Die konsequente Einbindung der „großen Geschichte“ in die „kleine Geschichte“, also in der konkret darzustellenden, lokalen und regionalen Geschichte ist vorgesehen und sollte gestalterisch/grafisch unterstützt werden.

Eine an den Biografien und Erlebnissen der Zeitzeugen orientierte Erzählweise zieht sich somit durch die gesamte Ausstellung.


[1] 28 Ergebnis des Gesprächs mit Frau Neubert: Weitgehende Übereinstimmung, auch bezüglich der räumlichen Repräsentation von Zelleninterieur. Fragen zu Einzelobjekten, Anzahl und Gestaltung wurden zurückgestellt (Umsetzungsphase, Gestalter). Beschriftung von authentischen Objekten am/im Gefängnistrakt blieb ungelöst, wobei eine gemeinsame Diskussion mit den künftigen Gestaltern zu einer für beide Seiten akzeptablen Betextung führen könnte. Der Blick in den Gang des Zellentraktes muss davon unbeeinträchtigt bleiben. Diese gemeinsame inhaltliche Haltung ist im Entwurf vom 28.02.2011 bereits verankert. Zur Verdeutlichung dieser Position wird der Hinweis auf den frei bleibenden Blick in den Zellengang ergänzt.
[2]
29 Angeknüpft wird hier an bestehende Führungskonzepte von Zeitzeugen, deren Arbeit in der Andreasstraße fortgeführt werden sollte. Vgl. obige Ausführungen dieser Konzeption.
[3]
30 Diese Etage soll mit der Darstellung der Haft, der Situation der Häftlinge beginnen, nachdem das Großobjekt im zweiten Obergeschoss bereits gesehen wurde. Diesem Hinweis von Frau Neubert stimmt Frau Wahl im Gespräch zu. Die Themenfolge wurde entsprechend geändert.