Interview: "Frau Neubert, was wird aus der Andreasstraße?"

Der Gefängnistrakt im Obergeschoss des ehemaligen Stasi-Gefängnisses blieb weitgehend erhalten. Einig sind sich die konkurrierenden Konzepte darin, dass der Ort künftig durch seine Authentizität wirken und dafür weniger museal überformt werden soll. Foto: Marco Schmidt Der Gefängnistrakt im Obergeschoss des ehemaligen Stasi-Gefängnisses blieb weitgehend erhalten. Einig sind sich die konkurrierenden Konzepte darin, dass der Ort künftig durch seine Authentizität wirken und dafür weniger museal überformt werden soll. Foto: Marco Schmidt

Wenn am Mittwoch über das Ausstellungskonzept zum Lern- und Gedenkort im ehemaligen Stasi-Gefängnis entschieden wird, fehlen vermutlich die Häftlingsvertreter. Sie sehen ihre Interessen als Opfer verletzt. Bestärkt werden sie von der Thüringer Beauftragten für die Stasi-Unterlagen, Hildigund Neubert. Hanno Müller sprach mit ihr.

Frau Neubert, das neues Konzept der Arbeitsgruppe Andreasstraße zum Gedenk- und Lernort im ehemaligen Erfurter Stasi-Gefängnis liegt vor, warum verweigern Sie die Zustimmung? Im Konzept ist zu wenig Bewegung in der Richtung, wie wir uns die Gedenkstätte in der Andreasstraße vorstellen. Die Rede ist von einer Dauerausstellung über die Polarität von Unterdrückung und Freiheit in der DDR. Für ein ehemaliges Gefängnis scheint das naheliegend. Allerdings wird das Ringen um diese Freiheit zu sehr auf die Wende verengt. Schon die Gefangenen wollten Freiheit und Demokratie, sie wollten frei wählen und dass ihre Kinder eine gute Ausbildung bekommen. Das kommt zu kurz.

Sie haben sich im April mit der Autorin des Konzeptes Stefanie Wahl, getroffen, die danach viele Anregungen von Ihnen und den Häftlingsverbänden eingearbeitet hat. Warum reicht das nicht? Der Grundansatz ihres Konzeptes bleibt akademisch. DDR-Geschichte soll möglichst breit und allgemein erzählt werden, die Häftlingsbiografien sind nur Nebensache. Das kann nicht funktionieren. Eine solche Ausstellung muss Menschen ansprechen und berühren. Das geht am besten mit lebensgeschichtlichen Erzählungen.

Genau das soll in einem eigenen biografischen Teil der Ausstellung geschehen. Der dafür vorgesehene Bereich ist viel zu klein. Zehn Biografien werden in drei Räumen zusammengedrängt. Biografien wie z. B. die der Erfurterin Gabriele Stötzer, an der man die Erziehung zur sozialistischen Persönlichkeit, die Haftgeschichte, die alternative Kunstszene der 80er Jahre und die Besetzung der Stasi-Zentrale 1989 darstellen könnte, können nicht wirklich ausgebreitet werden. Das können wir nicht akzeptieren.

Es geht letztlich um verschiedene Ansätze - hier Ihr rein biografischer Zugang, dort der von den in der Arbeitsgruppe vereinten Historikern bevorzugte Gedenk- und Lernort zu historischen Zusammenhängen. Warum fällt es Ihnen so schwer, diesen anderen Ansatz zu akzeptieren? Wir diskutieren seit 2004 über diese Fragen. Inzwischen sind große Gebäudeteile verkauft und anderweitig verplant. Für das, was man jetzt vorhat, reicht der verbliebene Platz nicht aus. Also muss man sich auf wesentliche Aspekte konzentrieren. Das sind für uns die Biografien.

Da wäre es gut, wenn alle Beteiligten darüber sprechen würden was nicht geht, weil sich Freiheit e. V. und VOS aus der Arbeitsgruppe zurückgezogen haben. Wäre es nicht an der Zeit, gemeinsam nach Kompromissen zu suchen? Es hat fünf Jahre funktioniert. Dann aber hat man zunehmend über die Köpfe der Häftlingsvertreter hinweg entschieden. Freiheit und VOS haben ein eigenes Konzept erarbeitet, das wurde nicht einmal angehört. Die Verbände zogen sich nicht einfach zurück, sie wurden vertrieben. Gespräche sind nur auf Augenhöhe sinnvoll. Dieses Prinzip wurde verletzt.

Die Gesellschaft für Zeitgeschichte e. V. ist geblieben und wirft Ihnen nun eine egoistische Blockadehaltung vor. Die GfZ repräsentiert nicht die 6000 Häftlinge, sondern steht für die Besetzung 1989 und das Bürgerkomitee. Aus dieser Tradition sind sie entstanden, über die Darstellung der Revolution gibt es längst einen Konsens

Vielleicht sind die von der GfZ einfach nur vernünftiger? Das mag so rüberkommen. Ich habe aber erlebt, wie mit den Vertretern der politischen Häftlinge umgesprungen wurde. Sie waren bis Januar 2011 dabei, haben viele Vorschläge gemacht, die alle abgewimmelt wurden.

In Buchenwald gab es Mitte der 1990er ähnliche Streitereien. Als sich Häftlinge und Gedenkstätte zusammensetzten, entstanden international geschätzte Museen. Sie sind Mitglied bei Freiheit e. V. und offensichtlich eine Schlüsselfigur im aktuellen Streit. Hängt es letztlich an Ihnen? Die Häftlingsvertreter haben durchaus Ihren eigenen Kopf. Auf Sie würden Sie vermutlich hören. Ich kann nicht einem Konzept zustimmen, das falsch ist.

Geht es auch darum, wer künftig in der Gedenkstätte das Sagen haben soll? Wir haben die Andreasstraße fünf Jahre betreut. Mitarbeiter meiner Behörde haben dort bei 10 Grad Minus Schülergruppen geführt. Seit Geld in Aussicht steht, gibt es Streit. Da soll es plötzlich die Stiftung Ettersberg machen. Die hat noch nie auch nur den kleinsten Beitrag zur Gedenkstätte geleistet.

Sie wollen sich die Andreasstraße nicht wegnehmen lassen? Darum geht es nicht. Es geht um eine Trägerschaft, in der echte Partnerschaft und Mitsprache der Zeitzeugen gewährleistet ist.

Liegen die richtig, die sagen, Hildigund Neubert mauert bei der Andreasstraße, weil sie eigene Interessen hat, vielleicht sogar dort Chefin werden will? Der Chefposten ist hoffentlich längst besetzt, wenn ich 2013 im jetzigen Amt aufhören muss. Wir brauchen sofort einen Gedenkstättenleiter.

Das ist aber jetzt kein wirkliches Nein auf meine Frage nach Ihren Ambitionen? Ich habe längst andere Namen im Kopf. Ich halte einfach die Stiftung Ettersberg für ungeeignet. Sie hat sich noch nie mit Gefängnisfragen beschäftigt. Mit der Diktaturgeschichte schon. Zudem hat sie durch ihren Schülerwettbewerb viel Erfahrung bei der Geschichtsarbeit mit Jugendlichen. Im Schülerwettbewerb werden lediglich die fertigen Arbeiten anderer bewertet. Es gibt keine eigenen Beiträge der Stiftung zur historischen Stasi-Haft-Forschung. Ihr Verhältnis zu Zeitzeugen ist miserabel.

Vermutlich wird das Konzept auch ohne Freiheit e. V. und VOS verabschiedet, was bedauerlich wäre. Gesprächsangebote vom Kultusministerium gibt es. Was muss geschehen, damit Sie einlenken? Ich würde gern aus den Konzepten von Arbeitsgruppe und Freiheit e. V. eine Synthese machen. Kulturstaatssekretär Thomas Deufel müsste sich darauf einlassen. Außerdem erwarte ich von ihm, dass er auf die Häftlingsvertreter zugeht, die sich durch seine Vorgehensweise sehr verletzt fühlen.

Soll er zu ihnen hinfahren? Ja, und ein paar konkrete Vorschläge machen, denen die Häftlinge zustimmen können. Er kann auch gern mich fragen, ich habe ein paar gute Ideen.

Bei sich selbst sehen Sie keinen Kompromissbedarf? Die Häftlinge und ich haben viele inhaltliche Angebote und schon viele Kompromisse gemacht, sonst wäre die Bauplanung nicht möglich gewesen.

Sie werden Joachim Heise von Freiheit e. V. und Wolf-Dieter Meyer von der VOS also nicht empfehlen, in die Arbeitsgruppe zurückzukehren? Noch nicht. Ich sehe meine Rolle darin, so viel Bewegung wie möglich hineinzubringen für ein wirklich gutes Konzept. Ob die Herren dann auf mich hören, steht sowieso auf einem anderen Blatt.

Hildigund Neubert

Hildigund Neubert: "Die Häftlinge und ich haben viele inhaltliche Angebote und schon viele Kompromisse gemacht." Foto: Marco Kneise Hildigund Neubert: "Die Häftlinge und ich haben viele inhaltliche Angebote und schon viele Kompromisse gemacht." Foto: Marco Kneise

 

Hanno Müller / 14.06.11 / TA