Häftlingsverband geht gegen Stasiunterlagen-Beauftragte vor

Hildigund Neuberts Sichtweise ist umstritten. Foto: Alexander Volkmann Hildigund Neuberts Sichtweise ist umstritten. Foto: Alexander Volkmann

Vor der Entscheidung zur Stasi-Gedenkstätte am Mittwoch in der Erfurter Andreasstraße ist der Konflikt um die Gedenkstätte erneut eskaliert. Der Verband der Opfers des Stalinismus wirft Hildigung Neubert, Thüringens Stasiunterlagen-Beauftragte, ungeheuerliche Entgleisungen vor.

Erfurt. Die E-Mail, die Hildigund Neubert am 8. Juni an Johannes Rink sendete, war kurz, aber durchaus pointiert. Die "Alleingänge des Herrn Lässig", schrieb sie, "bereiten uns hier in Thüringen große Sorge". Lässig bediene sich der Teile-und-herrsche-Strategie des Bildungsministeriums und dessen Staatssekretärs. Dieser behandele die ehemaligen Häftlinge gemäß dem Motto: "Weil ihm deren Meinung nicht passt, sucht er sich ein neues Volk - das kennen wir vom 17. Juni 53."

Neubert ist die Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, sie verschickte die E-Mail von ihrer Dienstadresse. Adressat Rink ist der Bundeschef des Verbandes der Opfer des Stalinismus (VOS) und Ronald Lässig sein Vize. Der Staatssekretär im Bildungsministerium heißt Thomas Deufel (SPD).

Und, die von Neubert erwähnten Häftlinge sind Menschen, die einst im Stasi-Untersuchungsgefängnis in der Erfurter Andreasstraße saßen, aus dem gerade eine Gedenkstätte entsteht.

Dienstaufsichtsbeschwerde als Folge

Ronald Lässig geht nun gegen den indirekten Vergleich mit dem DDR-Regime vor. Im Landtag ist der Brief noch nicht eingetroffen. Nein, heißt es im Büro von Präsidentin Birgit Diezel (CDU), man wisse von nichts. Doch die Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, das versichert Ronald Lässig, befinde sich auf dem Postweg.

Der Bundesvize des Verbandes der Opfers des Stalinismus (VOS) wirft Hildigund Neubert eine "ungeheuerliche und ehrverletzende Entgleisung" vor. Nicht nur, dass sie ihn und Thüringens Bildungsstaatssekretär Thomas Deufel (SPD) mit der SED-Führung zur Zeit des 17. Juni 1953 gleichsetze - sie beleidige auch die Opfer der DDR-Diktatur.

Es geht einmal mehr um die geplante Gedenkstätte, die gerade im ehemaligen Stasi-Gefängnis in der Erfurter Andreasstraße entsteht. Der Rat der eigens für diesen Ort gegründeten Stiftung entscheidet heute über das Ausstellungskonzept. Neben Bildungsminister Christoph Matschie (SPD) und Vertretern des Landtags und der Regierung ist auch das Ratsmitglied Neubert eingeladen.

Sie werde gegen das Konzept votieren, sagte die Stasi-Beauftragte. Nach wie vor seien die Vorstellungen der Opfer zu wenig berücksichtigt. Sie und der Verein "Freiheit" einstiger Häftlinge kritisieren seit Monaten, dass die Ausstellung der allgemeinen Diktatur-Geschichte mehr Platz als den Schicksalen der Opfer einräume.

Allerdings ist Neuberts Sicht auch unter den Ex-Häftlingen umstritten. Nachdem bereits die Erfurter Gesellschaft für Zeitgeschichte das Konzept billigte, gab nun auch die VOS-Bezirksgruppenchefin Ingrid Renten ihre Unterstützung. Sie habe in Absprache mit dem Bundesvorstand ihrer Verbandes so entschieden, sagte sie vor Pfingsten unserer Zeitung.

VOS-Landeschef Wolf-Dieter Meyer erklärte damals jedoch, Renten habe sich von Bundesvize Lässig überreden lassen. Das Konzept widerspreche noch in vielen Punkten den Vorstellungen seiner Mitglieder.

Dies wiederum nahm Neubert zum Anlass, an VOS-Bundeschef Johannes Rink eine E-Mail in ihrer Funktion als Beauftragte zu schreiben. Lässigs "Alleingänge" stützten den Staatssekretär, der "verzweifelt nach einzelnen Häftlingen" suche, "die nicht durchschauen, dass das Ministeriums-Konzept das Haftthema marginalisiert". Deufel negiere damit die "legitimierte Vertretung" der Opfer: "Weil ihm deren Meinung nicht passt, sucht er sich ein neues Volk - das kennen wir vom 17. Juni 53."

Rink sagte auf Nachfrage, er habe die E-Mail "mit Bauchschmerzen" gelesen. Er akzeptiere zudem das Konzept als "grobe Richtlinie", sofern in einem Feinkonzept noch Änderungen möglich seien.

Staatssekretär Deufel hatte dies bereits öffentlich mehrfach versichert. Gestern erklärte er, die Ausführungen Neuberts über ihn "kommentierten sich selbst". Vielmehr bedrücke ihn, dass "Zeitzeugen in ein schlechtes Licht gerückt werden, nur weil sie mit uns reden".

Hildigund Neubert im Interview

Martin Debes / 15.06.11 / TA

http://www.thueringer-allgemeine.de


Die VOS-Bezirksgruppe Erfurt hat auf Initiative ihrer Vorsitzenden Ingrid Renten am 23.05.2011 eine Mitgliederversammlung zur künftigen Bildungs- und Gedenkstätte Andreasstraße abgehalten, an der auch der Bundesvorsitzende und sein Stellvertreter teilnahmen. Alle Teilnehmer hatten vorab die Konzeption erhalten. Von der Mitgliederversammlung wurde der Konzeption zugestimmt. Mehrere Thüringer Mitglieder haben deutlich artikuliert, dass sie statt einer destruktiven Blockadehaltung die Wiederaufnahme der Gespräche mit dem TMBWK wünschen.

Die E-Mail im Wortlaut