Der Thüringer Landtag beriet 2012/13 über die Neufassung eines Thüringer Aufarbeitungsbeauftragten-Gesetz. Bisher gilt das Thüringer Landesbeauftragtengesetz für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR vom 31. März 1993.

Bis Ende März 2013 war eine öffentliche Diskussion über das neue Forum des Thüringer Landtages möglich. Auf der u.g. Webseite standen Fragen, quasi als Anhörung zum o.g. Gesetz, online.

www.forum-landtag.thueringen.de/dokument/thueringer-aufarbeitungsbeauftragten-gesetz#node-11060

An der Anhörung haben sich mehrere Einzelpersonen und Inititativen beteiligt, u.a. auch die Gesellschaft für Zeitgeschichte. 

Die wesentlichen Punkte unserer Stellungnahme lesen sie unten.
Der gesamte Text ist Initiates file downloadals PDF (220 kB) hier verfügbar.

Das 2013 neu beschlossene Gesetz auf den Webseiten des Landesbeauftragten
www.thla-thueringen.de/index.php/behoerde/auftrag

Der Gesetzentwurf Initiates file downloadals PDF 270 kB

Das bisherige Gesetz Initiates file downloadals PDF 270 kB

Zum Vergleich: Das Brandenburger Gesetz Initiates file downloadals PDF 230 kB


Zum Gesetzentwurf zum „Beauftragten zur Aufarbeitung des Stalinismus und der DDR-Diktatur in Thüringen“

Grundsätzliche Wertung zum Gesetzentwurf  

  1. Aus Sicht der Gesellschaft für Zeitgeschichte e.V. ist die Neufassung des Landesbeauftragtengesetzes in mehrfacher Hinsicht kritikwürdig.

Der Gesetzentwurf wurde offensichtlich in starker Anlehnung an das Brandenburger Aufarbeitungsbeauftragtengesetz, aber sichtbar unbedacht und nachlässig erarbeitet, und ohne die spezifischen Bedingungen in Brandenburg zu beachten (dort gab es bis 2009 keinen entsprechenden Landesbeauftragten).

Dies geschah ohne Beteiligung der Aufarbeitungsinitiativen in Thüringen, die schon lange im  „Thüringer Geschichtsverbund“ vertrauensvoll zusammen arbeiten.

Die Notwendigkeit einer völligen Neufassung erschließt sich nicht.

Deshalb halten wir eine Beibehaltung und ggf. stellenweise behutsame Änderung des bisherigen Gesetzes für völlig ausreichend.

1.1 Der Gesetzestext enthält zahlreiche Wiederholungen und uneindeutige, teilweise auch falsche Formulierungen. Eine stringente und straffe Formulierung und Zuordnung zu den einzelnen Paragrafen ist für die inhaltliche Klarheit des Gesetzes notwendig.

Schon der Titel ist falsch: „Stalinismus“ ist in der Aufarbeitungsdiskussion ein spezifischer Begriff, und „DDR-Diktatur“ wird bewusst nicht verwendet, dagegen ist der Begriff „SED-Diktatur“ allgemein gebräuchlich, da dies die Verursacher der diktatorischen Verhältnisse in der DDR benennt.

1.2. Ein zusätzlicher neuer Schwerpunkt soll auf politischer Bildung liegen.

Damit wird eine zusätzliche Institution der Politischen Bildung geschaffen, die zusätzlich zu den bisherigen Trägern wie der Landeszentrale für politische Bildung, aber auch anderen schulischen und außerschulischen Bildungseinrichtungen, den politischen Stiftungen, den Kirchen sowie einer Reihe von Vereinen, Initiativen, Stiftungen und Gedenk- und Bildungsstätten agiert. Es besteht damit einerseits die Gefahr, dass die ohnehin zu geringe Finanzausstattung der bestehenden Bildungseinrichtungen weiter aufgeteilt und damit abgesenkt wird. Andererseits besteht die Gefahr, dass die bisherige originäre Aufgabe des Landesbeauftragten, die Unterstützung und Beratung von durch die Diktatur betroffenen Menschen, relativiert wird. Für diese ebenso wichtige Aufgabe gibt es aber keinen weiteren Träger, sie ist aber bei einer staatlichen Behörde richtig angesiedelt.

1.3. Der Landesbeauftragte soll künftig die vorhandenen unabhängigen Einrichtungen wie Vereine, Museen, Gedenkstätten und Bildungsstätten koordinieren(!).

Dazu gibt es bereits den „Thüringer Geschichtsverbund“, der zur Wahrnahme dieser Aufgabe gemeinsam auch mit der bisherigen Landesbeauftragten gegründet wurde. Soll dieser Verbund überflüssig gemacht werden?

Der „Thüringer Geschichtsverbund – Arbeitsgemeinschaft zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ als gemeinsamer Verbund der aus zivilgesellschaftlichem Engagement hervorgegangenen Initiativen und Einrichtungen und staatlicher Stellen stellt eine optimale Plattform der Aufarbeitung in Thüringen dar. Die Koordinierung der Aufgaben geschieht hier bereits unter Beteiligung auf Augenhöhe durch alle Interessierten. Sie bedarf gerade nicht der Koordinierung durch eine staatliche Institution, im Gegenteil, damit wäre die Gefahr einer Bevormundung und Einflussnahme verbunden.

1.4. Neu an der Neufassung des Gesetzes ist nicht die Wahl durch den Landtag (das ist schon so), sondern das Vorschlagsrecht der Fraktionen gegenüber jetzt der Regierung.

Das Prinzipiell ist auch die jetzige Regelung möglich, allerdings sind im Interesse des Amtes alle parteipolitischen Interessen aus dem Verfahren herauszuhalten. Das ist aber weder mit dem jetzigen noch dem künftigen Verfahren garantiert. Insofern kann es auch bleiben wie es ist.

1.5. Welche fachlichen und persönlichen Qualifikationen sollten an die bzw. den Beauftragten gestellt werden? Sollte die Beauftragte bzw. der Beauftragte Bürgerin bzw. Bürger der ehemaligen DDR gewesen sein?

Die oder der künftige Beauftragte muss über ausreichende Kenntnisse über die SED-Diktatur, die Überwindung dieser in der Friedlichen Revolution, die Folgen der Diktatur, insbesondere auch die psychosozialen Folgen bei Betroffenen und den professionellen Umgang damit, die bisherige Aufarbeitung und die Rechtslage verfügen. Insbesondere die persönlichen Fähigkeiten im Umgang damit sind das wesentliche Qualifikationsmerkmal, denn er muss einerseits Anwalt der Betroffenen sein, ohne sich unreflektiert zum Interessenvertreter Einzelner zu machen und eine professionelle Distanz zu wahren, die für eine Beratung grundlegend notwendig ist.

Es ist nicht zwingend notwendig, dass sie bzw. er Bürger der ehemaligen DDR gewesen ist und nur möglich, wenn die Person sich bereits während der DDR sich aktiv kritisch mit dem System auseinandergesetzt hat.

1.6. Amtsverhältnis und Rechtsstellung

Die Arbeit des Bundesbeauftragten (BStU) wird von einem Beirat und einem wissenschaftlichen Begleitgremium begleitet. Ein Beirat sollte künftig in Thüringen auch dem Landesbeauftragten zur Seite gestellt werden, um Kritik an der Amtsführung des Landesbeauftragten sachlich bearbeiten zu können. In der bisherigen Konstellation war nur eine rechtliche oder dienstaufsichtliche Bearbeitung dieser Kritik möglich. Die Unabhängigkeit des Landesbeauftragten bleibt deshalb unbenommen.

Der Beirat sollte aus höchstens 9 Personen bestehen, die von gesellschaftlichen Institutionen und Einrichtungen vorgeschlagen und vom Landtag berufen werden, darunter eine vom „Geschichtsverbund“ benannte Person und 2 einschlägige Wissenschaftler. Die Regelungen in den §§ 39 und 40 StUG sollten in denen für den Beirat angemessen berücksichtigt werden.

1.7. Empfehlungen für den weiteren Umgang mit dem Gesetzentwurf

Nach Bekanntwerden von erster Kritik an dem Gesetzentwurf wurde von verschiedenen Seiten eine öffentliche Anhörung zugesagt. Der Landtag bzw. die damit befassten Ausschüsse sollten dies im Interesse der Akzeptanz des Amtes unbedingt wahrnehmen. Eine schriftliche Anhörung und erst recht die Online-Diskussion, so begrüßenswert diese Möglichkeiten sind, können den öffentlichen Vortrag und die direkte Nachfrage und ggf. Diskussion nicht ersetzen.