Tu deinen Mund auf …



Altpropst Dr. Heino Falcke
Der katholische Bischof von Erfurt Ulrich Neymeyr
Der evangelische Regionalbischof Dr. Christian Stawenow

Ansprache Friedensgebet 6. 12. 2018

„Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind.
Tu deinen Mund auf und richte in Gerechtigkeit und schaffe Recht den Elenden und Armen.“ 
Sprüche Salomo 31,8f)

 

Tu deinen Mund auf…

Das haben die getan, die damals vor 40 Jahren das Friedensgebet begannen. Die Regierung der DDR hatte die Militarisierung des Lebens wieder um eine Maßnahme höher geschraubt: Schüler ab der 9. Klasse mussten ab Schuljahresbeginn 1978 an dem neu eingeführten Fach „Wehrunterricht“ teilnehmen. Es sollte allen Schülern Grundkenntnisse der „sozialistischen Landesverteidigung“ vermitteln und verstärkt Zeitsoldaten und Offiziersanwärter werben. Bei den 14tägigen Wehrlagern wurden die Jungen auch an Waffen ausgebildet, die Mädchen mussten in der Zeit einen Lehrgang der Zivilverteidigung absolvieren.

Evangelische und katholische Kirche protestierten zwar, aber ohne Erfolg. Einzelne Christen schrieben Eingaben, das einzige offizielle Mittel, um Veränderungen zu bewirken. In der SED-Diktatur blieb das natürlich auch ohne Erfolg.

In Erfurt wollten sich einige Frauen und Mütter davon nicht entmutigen lassen. Aber die Möglichkeiten waren ausgeschöpft. „Jetzt hilft nur noch beten“. Das war der Gedanke, inspiriert von dem 1936 von Reinhold Schneider geschriebenen Sonett „Allein den Betern kann es noch gelingen.“

„Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind.“

Der Frieden, der bedroht war von den Atomwaffen zweier sich befeindender Weltsysteme, die massiv zunehmende Umweltzerstörung, die Missachtung der Religionsfreiheit bei uns und in anderen Ländern, die Achtung des Lebens, die Rede- und Meinungsfreiheit, eine Schule die aufrechte Menschen bilden will, die Gleichberechtigung von Frauen, die Integration Behinderter, alles das waren Anliegen, für die gebetet wurde.

Und das sind Anliegen, für die auch heute vielfach noch gebetet wird. Gebetet werden muss. Es blieb die dem Namen Friedensgebet, getreu dem biblischen Verständnis vom „Schalom“, wo Frieden und Gerechtigkeit sich küssen.

1980 rufen die Kirchen zu einer Friedensdekade auf, erstmals taucht das Symbol „Schwerter zu Pflugscharen“ auf. Jetzt finden die Friedensgebete an jedem dieser 10 Tage statt. Ab der Friedensdekade 1982 wird daraus eine 10 Tage lange ununterbrochene Gebetskette, die bis 1989 und nochmals vor Beginn des Golfkrieges 1991 stattfindet. Mit den Friedensdekaden beginnen auch in anderen Städten wöchentliche Friedensgebete, so auch ab Herbst 1982 in der Nikoleikirche in Leipzig.

1989 werden die Friedensgebete die Kristallisationspunkte der Demonstrationen in der Friedlichen Revolution. Ab dem 19. Oktober 1989 versammeln sich die Menschen hier in Erfurt erst in der Lorenzkirche, am nächsten Donnerstag in zwei und danach in vier Kirchen gleichzeitig zum Friedensgebet und ziehen mit Kerzen in der Hand durch die Stadt. Mit Gebeten und brennenden Kerzen verändert sich die DDR und wird die SED-Diktatur ohne Gewalt gestürzt.

„Tu deinen Mund auf und richte in Gerechtigkeit und schaffe Recht den Elenden und Armen.“

Inzwischen sind wir donnerstags oft eine überschaubare Zahl von Betern. Demonstrationen und Mahnwachen finden meist ohne Bezug zum Friedensgebet statt. Wir sind längst in der freiheitlich-demokratischen Ordnung angekommen, die keinen Schutzraum für die öffentliche Meinungsäußerung mehr braucht.  

„Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind.
Tu deinen Mund auf und richte in Gerechtigkeit und schaffe Recht den Elenden und Armen.“.

Das ist der Rat, den die Mutter ihrem Sohn und König Lemuël im Buch der Sprüche Salomos der Bibel mitgibt. Und es ist der Grund, warum wir uns immer noch donnerstags hier zum Friedensgebet versammeln. Ilse Neumeister, die lange Zeit das Friedensgebet koordinierte, hat einmal gesagt: Wir waren so naiv zu glauben, Beten hilft.“

Ja, Beten hilft. Denn es eröffnet die Möglichkeit, unseren Mund aufzutun für die Sache aller, die verlassen sind. Auch wenn wir keinen Weg und keine Möglichkeit der Veränderung sehen. Und so Gott will, wird sich die Welt verändern. Das haben wir erlebt.

Denn das Beten gründet sich auf das Vertrauen, dass wir es nicht allein sind, die die Veränderung schaffen. Dass es eben auch die Sache Gottes ist, Frieden und Gerechtigkeit und das Recht den Elenden und Armen zu schaffen.

„Wie wir beten sollen, lesen wir in der Bibel, was wir beten sollen, lesen wir in der Zeitung.„ Das ist der Grundgedanke unseres Friedensgebetes, zu dem wir nun seit 40 Jahren jeden Donnerstag zusammenkommen.

Das Friedensgebet zum 40jährige Jubiläum hatten Barbara Sengewald, Dieter Oberländer und Matthias Sengewald gemeinsam vorbereitet. "Tu deinen Mund auf..." war dann die Aufforderung der Ansprache. Zitate aus aktuellen Tageszeitungen wurden den Fürbitten vorangestellt.

Anschließend überbrachten Altpropst Dr. Heino Falcke, der katholische Bischof von Erfurt Ulrich Neymeyr und der evangelische Regionalbischof Dr. Christian Stawenow Grüße. Falcke nannte das Friedensgebet "die Seele der Stadt". Neymeyr griff das auf und dankte denen, die Woche für Woche das Friedensgebet tragen. Auch Stawenow nannte das Gebet einen wichtigen Beitrag für alle. 

Am Ausgang gab es für alle eine Nikolaustag-Überraschung: Kleine gefüllte Stiefelchen.